Seit der Hörverlag zu Beginn des Jahres 2005 die neue und lobenswerte Reihe "English Edition" in sein Programm aufgenommen hat, kann sich der deutsche Hörer an vielen englischsprachigen Hörbuch- und Hörspielproduktionen erfreuen. Neben fantastischen Hörspielen wie "The Hobbit" und "The Lord of the Rings", zahlreichen "Paul Temple"-Kriminalfällen, Douglas Adams’ "The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy" oder der Lesung "Artemis Fowl" veröffentlichte der Hörverlag Ende Januar 2006 die englische Übersetzung des Erfolgsromanes "Herr der Diebe" der deutschen Autorin Cornelia Funke, dessen Verfilmung jüngst anlief - "The Thief Lord".

Nachdem ihre Mutter unerwartet gestorben ist, sollen der zwölfjährige Prosper und dessen fünf Jahre jüngerer Bruder Bo zu ihrer Tante Esther ziehen. Dagegen wehren sich die beiden jedoch vehement, denn Tante Esther verlangt von ihnen gesittetes und anständiges Benehmen. Aus diesem Grund entschließen sich Prosper und Bo, von zu Hause wegzulaufen, und schaffen es tatsächlich, sich bis nach Venedig durchzuschlagen - jener traumhaften Stadt, von der ihre Mutter immer geschwärmt hatte. Dort angekommen werden die beiden Jungen schnell von einer Jugendbande aufgenommen, die von dem Ertrag der Beutezüge des geheimnisvollen Jungen Scipio, der sich selbst "Herr der Diebe" nennt, lebt.
Doch Esther Hartlieb ist ihren beiden Neffen auf der Spur: Sie hat herausgefunden, dass sich Prosper und Bo in Venedig versteckt halten, und erteilt Victor, einem venezianischen Privatdetektiv, den Auftrag, die Kinder im Gewirr der Gassen und Kanäle aufzuspüren. Durch einen für ihn glücklichen Zufall hat Victor schon bald Erfolg und kann das Versteck der beiden Brüder ausfindig machen, doch anstatt diese an ihre Tante zu verraten, freundet er sich behutsam mit den Jugendlichen an. Die Kinder hingegen haben noch ein anderes Problem: Immer häufiger stellen sie sich die Frage, wer tatsächlich hinter der Maske des Herrn der Diebe steckt. Wer ist der mysteriöse Scipio, der des Öfteren auch mal für einige Tage verschwindet und dann wie aus dem Nichts plötzlich wieder auftaucht? Die Jugendbande droht sich zu spalten, als Scipio einen geheimnisvollen, hochprämierten Auftrag erhält, der die Kinder und Jugendlichen nicht nur wieder zusammenschweißt, sondern sie auch die alte Magie Venedigs entdecken lässt ...

Mit Buchreihen beziehungsweise Romanen wie "Die wilden Hühner", "Drachenreiter" und "Herr der Diebe" schrieb sich die deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke in die Herzen ihrer Leser, wurde zu einer der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Schrifstellerinnen. Doch erst der sensationelle Erfolg ihres Romanes "Tintenherz" brachte ihr den internationalen Durchbruch - seitdem stürmen Cornelia Funkes Romane auch die amerikanischen Bestseller-Listen und eine Verfilmung von "Tintenherz" befindet sich in Produktion, während "Die wilden Hühner" schon abgedreht und "Herr der Diebe" sogar bereits im Dezember 2005 angelaufen ist.

Venedig - wiederholt wurde diese Stadt mit all ihren Geheimnissen und Mythen in der Literatur als Ausgangspunkt zahlloser Geschichten verwendet. Mit "Herr der Diebe" entführt Cornelia Funke ihren Leser und in vorliegendem Fall auch Hörer in ebendieses Venedig, das sie einerseits altbekannt und realitätsnah schildert, das andererseits aber auch durch subtile fantastische Elemente überzeugt. Diese Magie, die von Cornelia Funkes Venedig ausgeht, wirkt so unscheinbar und passt so elegant in das Gesamtbild der Geschichte, dass der Hörer kein Wort der Schriftstellerin in Frage stellt, sondern sich vollständig in dieser Welt verlieren kann. Wenn man jedoch ehrlich ist, so hätten ein wenig mehr fantastische Elemente der Erzählung kaum geschadet, sondern ihr vermutlich noch mehr an Faszination verliehen. Gleichzeitig entwickelt Cornelia Funke eine spannende, kurzweilige, stellenweise sogar humorvolle Handlung, die den Hörer tief hinein in das Abenteuer um Prosper, Bo und den Herrn der Diebe zu ziehen vermag. Die Geschichte dabei in ihrer englischen Übersetzung zu hören, stellt keinen Nachteil dar, denn diese ist hervorragend gelungen.
Für die englischsprachige, ungekürzte Lesung konnte die BBC den britischen Schauspieler Michael Maloney engagieren, der seinen Hörer souverän und gekonnt durch Cornelia Funkes fantastische Romanvorlage führt. Mit eher unterschwelligen Stimmvariationen gelingt es ihm zwar nicht, jeder Figur individuelle Sprachmerkmale zu verleihen, dennoch weiß sein Stil den Hörer von der ersten gelesenen Zeile an zu faszinieren. Obwohl auch Michael Maloney - wie viele englische Sprecher - im Vergleich zu deutschen Interpreten sehr schnell liest, lässt sich die Erzählung mit ein wenig Konzentration problemlos und angenehm mitverfolgen, sodass der Hörer der Lesung schon bald gespannt lauscht.

Die Gestaltung des 6-CD-Schubers greift auf die stimmige und atmosphärische Illustration der englischsprachigen Buchausgaben von "The Thief Lord" zurück und verbindet diese mit einem schwungvollen, ins Auge springenden Schriftzug. Diese Kombination weckt nicht nur das Interesse seitens des Hörers, sie trifft auch wunderbar die Stimmung, welcher sich dieser während der Geschichte ausgesetzt sieht. Die Booklets hingegen bieten außer zwei Kurzbiografien über Autorin und Sprecher sowie einer Karte Venedigs keinerlei weiteren Informationen, während auf den Inlays der drei Doppel-CD-Hüllen ein kurzer Textauszug der Übersetzung sowie ein Aufsatz der Autorin - natürlich ebenfalls ins Englische übersetzt - abgedruckt wurde.

Fazit:
Mit "The Thief Lord" liefert die deutsche Autorin Cornelia Funke eine fantastische Romanvorlage, die vom britischen Schauspieler Michael Maloney atmosphärisch vorgetragen wird. Dass dieser dabei größtenteils lediglich auf nuancierte Stimmfärbungen zurückgreift und nur wenigen Charakteren individuelles Leben verleiht, stört nur geringfügig. Während die Covergestaltung durchaus stimmig gelungen ist, bieten die einzelnen Booklets der CDs jedoch kaum Informationen.