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Vor sechshundert Jahren gab es einen Clown, der auszog, allerlei Unfug anzustellen. Ihm gefiel es nicht mehr, dass die Menschen über ihn lachten. Er wollte über die Menschen lachen. Und so wanderte er von Ort zu Ort und stellte derart heftigen Unfug an, dass er immer auf der Flucht war und bald ganz Deutschland kannte. Zwölf Geschichten dieses Clowns, Till Eulenspiegel genannt, hat der Autor Erich Kästner 1938 nacherzählt und in seinem Schweizer Exil-Verlag Atrium veröffentlicht.
Akt Eins - Wie Eulenspiegel dreimal getauft wurde
Bereits der grade geborene Till machte dem Pfarrer des Nachbarortes große Sorgen, denn wer dreimal an einem Tag getauft wird, der wird ein arger Schelm werden in seinem Leben. Till wurde getauft, fiel mit der Hebamme in einen schlammigen Bach und wurde am Abend mit viel Wasser wieder gereinigt.
Akt Zwei - Wie Eulenspiegel auf dem Seil tanzte
Seiner Mutter bereitete Till großen Verdruss, denn er wollte keiner geregelten Arbeit nachgehen. Heimlich lernte er in der Waschküche, auf dem Seil zu gehen, und spannte es vom Giebel seines Hauses über den Fluss bis zu einem anderen Haus. Nachdem seine Mutter das Seil zerschnitten hatte und der ganze Ort über ihn lachte, hat Till es allen heimgezahlt und musste sich Monate in seinem Haus verstecken, um nicht verprügelt zu werden.
Akt Drei - Wie Eulenspiegel in einem Bienenkorb schlief
Als Till eines Abends völlig betrunken in einem leeren Bienenkorb seinen Rausch ausschlafen wollte, stahlen zwei Diebe den Korb, um den darin vermuteten Honig in ihrem Dorf zu verkaufen. Till spielte den beiden übel mit.
Akt Vier - Wie Eulenspiegel die Kranken heilte
Auf Wanderschaft kam Eulenspiegel in einen Ort, wo das Spital völlig überbelegt war. Er versprach dem Verwalter, dass noch am selben Tag alle Kranken geheilt sein Krankenhaus verlassen würden, wenn er ihm 200 Gulden auszahlen würde. Nachdem Till mit jedem Kranken gesprochen hatte, liefen tatsächlich alle Kranken hinaus. Till aber verschwand mit dem Honorar fast ebenso schnell und der Verwalter sollte noch bereuen, Till getraut zu haben.
Akt Fünf - Wie Eulenspiegel Eulen und Meerkatzen buk
Als Till einmal bei einem Bäcker als Lehrling arbeitete, beging dieser den Fehler, Till alleine in der Backstube zu lassen. Zu seinem großen Ärger machte Till genau, was der Bäcker ihm gesagt hatte.
Akt Sechs - Wie Eulenspiegel Turmbläser war
Als Turmbläser hatte Till die Aufgabe, Alarm zu blasen, wenn er in der Ferne Wegelagerer und Diebe sieht. Doch Till hatte Hunger und denkt gar nicht daran, seiner Aufgabe nachzukommen.
Akt Sieben - Wie Eulenspiegel Erde kaufte
Als Till durch das Land des Herzogs musste, war guter Rat teuer, denn der Herzog hatte ihm angedroht, ihn wegen früherer Untaten auf der Stelle aufzuhängen, wenn er Till noch einmal auf seinem Land antrifft. Doch Till hatte, wie immer, eine herrlich verrückte Idee.
Akt Acht - Wie Eulenspiegel einem Esel das Lesen beibrachte
Unterwegs als Gelehrter, kam Till in eine Stadt, wo ihn die Professoren und Studenten bereits erwarteten. Sie wollten sich nicht von Till betrügen lassen und ersonnen eine Aufgabe, die Eulenspiegel nicht lösen kann. Zumindest denken sie sich das, doch Till belehrt sie eines Besseren.
Akt Neun - Wie Eulenspiegel die Schneider belehrte
In Rostock ersann Till eine besonders niederträchtige List. Er ließ hunderte und tausende Schneider des gesamten Umlandes nach Rostock rufen, um ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen. Das Ganze endete in einer wüsten Massenschlägerei, nur einer war nicht mehr zu finden.
Akt Zehn - Wie der Wind drei Schneidergesellen fortgewehte
Drei Schneidergesellen verfluchten Till. Täglich ging er an ihnen vorüber und lachte über ihren Fleiß. Sie schimpften und lästerten über ihn. Till ersann eine Rache, die die Gesellen dem Spott der Bevölkerung aussetzte.
Akt Elf - Wie Eulenspiegel die Kürschner betrog
Leider war Till in dem Ort so bekannt und von den Kürschnern so gehasst, dass sie sich weigerten, ihn anzustellen. Als diese wenige Tage vor Fastnacht ein großes Fest planten, nähte Till eine Katze in ein Hasenfell und verkaufte das Tier einem der Kürschner als fetten Hasenbraten.
Akt Zwölf - Wie Eulenspiegel Milch aufkaufte
An einem Markttag besorgte sich Till ein riesiges Fass und kaufte den Händlerinnen sämtliche Milch ab. Die füllte er in das Fass. Als er aber die Milch nicht zahlen konnte, forderte er die Frauen auf, sich ihre Milch doch wieder zu holen. Eine gewaltige Schlägerei begann, an deren Ende der Marktplatz aussah, als hätte es Milch geregnet.
Bereits 1929 machte sich Erich Kästner unsterblich: Er schrieb "Emil und die Detektive". Auch Bücherverbrennungen und ein Schreibverbot der Nazis hielten ihn nicht davon ab, in der Schweiz weiter Bücher verlegen zu lassen. Seine scharfe Zunge, seine beißende Satire und sein offener Ton brachten ihm viel Ärger und Feindschaft, aber noch mehr Bewunderung und Freunde ein. Im Jahre 1938 verfasste er den "Till Eulenspiegel".
Man kann diesen Till Eulenspiegel als Allegorie auf Nazideutschland lesen. Immer wieder finden sich genug Dumme und Leichtgläubige, die alles glauben, wenn es nur überzeugend genug erläutert und mit Vehemenz vertreten wird. Immer wieder sind die Menschen bereit aufeinander loszugehen. Man gebe ihnen nur einen Anlass und sie lassen jeglichen Zusammenhalt vermissen und schlagen sich.
Doch diese Geschichten sind mehr. Sie sind zeitlos weise, halten den Menschen einen Spiegel vor, wie es Till Eulenspiegel im Mittelalter tat, und vor allem sind sie lustig. Trotz Gefahr und drohendem Galgen lässt sich dieser Schelm nicht abhalten, die Menschen zu testen, zu prüfen, zu foppen. Sind sie dumm? Oder sind sie leichtgläubig? Sind sie gierig? Oder sind sie ängstlich?
Erich Kästner ist ein Stück Literatur gelungen, das für alle Zeiten lesenswert sein wird. Solange es Menschen gibt, die Humor haben und über sich selbst lachen können, solange wird dieser "Till Eulenspiegel" sich verkaufen lassen. So einfach und schlicht, wie diese Geschichten erzählt werden, so kompliziert und schwierig ist der Hintergrund der Geschichten. Man muss sie schon mehrmals lesen, um den Hintersinn, die "Hinterfotzigkeit" des Till und die Ironie eines Erich Kästners zu verstehen.
Obwohl er bereits 1933 unter Beobachtung stand, Verhöre über sich ergehen lassen musste und im Jahre 1938 dieses Buch in der Schweiz verlegen ließ, traute es sich die Staatsmacht nicht, diesen großen Schriftsteller zu verhaften und in den Tod zu schicken. Der erste große Kinderbuchautor, den Deutschland hervorbrachte, kann man nicht einfach in die Gaskammern stecken. Er war Idol der Schergen und ihrer Opfer, Held ihrer Kindheit und Autor ihrer "heiligen Helden". Er stand außer Konkurrenz und die Hochachtung, die er trotz - oder grade wegen - seiner Haltung erfuhr, machte ihn seltsamerweise unangreifbar.
Ein wenig dieses Ruhmes kann man verstehen, wenn man diesen Till Eulenspiegel liest.
Kaufen Sie sich dieses Buch, es ist jeden Cent wert. Die wundervollen Zeichnungen, die Walter Trier beisteuerte, machen dieses Buch erst Recht zu einem Klassiker, den man gelesen haben muss!