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Im nun im
Fischer Verlag neu als Taschenbuch veröffentlichten Erzählband "Tricks", der 2004 erstmals unter dem (durchaus passenderen) englischen Originaltitel "Runaway" erschienen ist, sind acht Novellen aus der Feder Alice Munros versammelt. Sie lassen den Leser in das Leben von fünf Frauen eintauchen. Auf den ersten Blick mögen diese ganz unterschiedlich wirken, doch bei näherem Hinsehen offenbaren sich doch einige Gemeinsamkeiten. Das Leben all dieser Heldinnen scheint oberflächlich betrachtet ganz banal. Ob wir es nun mit Jugendlichen, jungen Frauen oder alternden Damen zu tun haben: Ihr Leben plätschert in geregelter Monotonie dahin. Bis zu dem Moment, in dem sie eine Entscheidung zu fällen haben, die sie ganz auf sie selbst zurückwirft. Und mit diesem Moment gehen diese Frauen ganz unterschiedlich um.
Carla wirft plötzlich alles hin, um einen beinahe Unbekannten zu heiraten – und sich Jahre später erneut vor der gleichen Entscheidung stehen zu sehen: Wird sie diesmal gehen oder bleiben? Grace verlässt ihren liebevollen Verlobten Maury, um sich mit seinem alkoholkranken Halbruder in eine leidenschaftliche Affäre zu stürzen. Auch Juliet, deren Geschichte in einer Mini-Trilogie erzählt wird, folgt einem Mann, einer Zugbekanntschaft, und sie wird auch dann nicht zurückkehren, als dieser Mann tot ist. Das Leben der 14-jährigen Lauren nimmt hingegen eine Wende durch die Begegnung mit einer Frau, die sich als ihre leibliche Mutter ausgibt. Robin wartet ihr Leben lang auf einen Mann, mit dem sie einst nicht mehr als einen einzigen Kuss ausgetauscht hat. Und Nancy nimmt den Heiratsantrag eines Mannes alleine deswegen an, weil sie nicht wagt, ihn vor den Kopf zu stoßen.
Alice Munros schriftstellerischer Ruhm kam spät, aber heftig. Die kanadische Schriftstellerin, die 2011 ihren 80. Geburtstag feierte, ging bereits schnurstracks auf die vierzig zu, als sie ihr erstes Buch veröffentlichte. Und auch dann wurde die Hausfrau aus der kanadischen Provinz für ihre im Alltag angesiedelten Kurzgeschichten zunächst noch eher belächelt.
Mittlerweile wird Munro nicht nur von Feuilletons und Literaturpreis-Jurys (ihr Name fällt sogar immer wieder, wenn es um mutmaßliche Kandidaten für den Literatur-Nobelpreis geht) als Queen der Short Story verehrt; zu ihren prominenten Bewunderern gehört keine geringerer als Jonathan Franzen, der selbst als einer der größten zeitgenössischen Erzähler gehypt wird. Die Verbindung ist nicht uninteressant, wenn man bedenkt, dass Franzen sich mit seinen bekanntesten Romanen "Die Korrekturen" (2001) und "Freiheit" (2011) zum Wunderkind der groß angelegten Familienepen mit immerhin über 700 Seiten emporgeschwungen hat – und Munro ihre Geschichten in maximal 35 Seiten abhandelt. Ihr schnörkelloser und präziser Erzählstil zielt ohne Umschweife und ohne die großen romanesken Bögen, die Franzen so wunderbar beherrscht, ins Herz der porträtierten Figuren – und stößt dort zielgenau auf die existenziellen Fragen des menschlichen Miteinanders.