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Bei Diogenes sind etliche Romane des großen Erzählers Joseph Roth als Hörbücher erschienen. In einer Sonderedition liegen nun auch sechs Erzählungen Roths vor: "Barbara", "April", "Erdbeeren", "Stationschef Fallmerayer", "Triumph der Schönheit" und "Die Büste des Kaisers".
Es sind, wie bei Joseph Roth üblich, fast immer die kleinen Menschen, die in diesen Werken als Protagonisten auftreten: in "Barbara" etwa eine jung verwitwete Wäscherin, die aus Verantwortungsgefühl ihrem Sohn gegenüber schweren Herzens auf ihre große Liebe verzichtet, ihm unter Opfern ein Studium ermöglicht und schließlich, da sie sich ihre Gesundheit für ihn ruiniert hat, noch relativ jung auf dem Sterbebett endgültig seine Gleichgültigkeit erfährt.
Auch "April" handelt von einer unerfüllten Liebe und der erstaunlichen Wandlung, die Gefühle durchmachen können, wenn das von außen diktierte Bild auf den geliebten Menschen verändert wird.
"Erdbeeren" ist eigentlich ein Romanfragment. Roth wollte mit dem Roman seiner galizischen Heimat ein Denkmal setzen; sie wird bereits durch die kurze Erzählung auf wunderbar anschauliche Weise portraitiert.
In "Stationschef Fallmerayer" geht es international zu: Ein kleiner Beamter aus der Provinz verliebt sich durch Zufall in eine russische Gräfin, die schließlich seine Gefühle erwidert. Doch die Beziehung ist zum Scheitern verurteilt.
Die für die Edition namensgebende Novelle porträtiert einen jungen, hoffnungsvollen Diplomaten, der sich ganz der Liebe zu seiner schönen Ehefrau verschrieben hat. Als er erfährt, dass sie ihn jahrelang betrogen hat, geht er zugrunde.
"Die Büste des Kaisers" schließlich ist ein dramatischer Abgesang auf das Habsburgerreich, das "Haus mit den vielen Zimmern und Türen", dessen multikultureller Charakter in Joseph Roths geliebtem Galizien besonders ausgeprägt war. Ein Graf, voll und ganz in der Donaumonarchie beheimatet, sieht das, was er zuvor als Heimat betrachtet hat, nach dem Krieg plötzlich der polnischen Republik zugeschlagen. Und immer mehr muss er erkennen, dass es für ihn keine Heimat mehr gibt.
Diese nicht ohne Humor und mit der Joseph Roth eigenen Liebe zu Land und Leuten erzählten Stücke sind sämtlich geprägt von Melancholie, wenn nicht tiefer Traurigkeit. Sie handeln von der Heimat und den Menschen, die dieser Heimat ihren Stempel aufdrücken.
Wie auch in seinen Romanen, portraitiert Joseph Roth in diesen Erzählungen auf meisterliche Weise Menschen, mit denen das Schicksal es nicht gut meint, alltägliche, pflichtbewusste Menschen, deren Leben durch eine Laune der Vorsehung durcheinander gewirbelt wird, im Allgemeinen durch die Liebe.
Jeder Hörer wird vermutlich einen eigenen Favoriten unter den sechs Erzählungen finden, möglicherweise wie die Rezensentin selbst "Triumph der Schönheit". Auf den heutigen Leser wirkt diese Erzählung zunächst schockierend frauenfeindlich, unterstellt sie den Frauen doch eine geradezu unbegrenzte Verführbarkeit, einen hoffnungslosen Hang zum Lügen und Schauspielern, die Fähigkeit, sich vor der Verantwortung für das genannte Tun in Krankheiten zu flüchten, und Prädestination dafür, gerade Männer von vornehmer, nobler Gesinnung in den Ruin zu stürzen. Nimmt man die Brille der "Political Correctness" ab, so entdeckt man in "Triumph der Schönheit" eine herausragend konzipierte, tief dramatische Novelle.
Die einzelnen Werke haben einen Umfang von je etwa einer Stunde, ausgenommen die nur halb so lange "Barbara". Langweilig wird das Zuhören keinen Augenblick, zumal Peter Simonischek die Texte ausdrucksstark und mit großem Einfühlungsvermögen vorträgt - und auch einmal das Schweizerische oder einen jiddischen Akzent zu imitieren weiß.
Wie bei Diogenes gewohnt, befinden sich die einzelnen CDs in Kartonhüllen und werden zusammen mit einem kleinen Booklet in einer schlicht-schönen Kartonschachtel aufbewahrt. Diese befindet sich in einer weiteren großzügig bemessenen, schmucken Kartonschachtel, der auch eine großformatige, sehr gut aufgemachte Broschüre beiliegt mit vielen Fotos von Roth sowie Texten über ihn und von ihm und einer Kurzbiografie.
Für Freunde herausragender Literatur ist diese Sammler-Edition ein großartiges Geschenk, sofern der Käufer sie nicht selbst behalten möchte: Denn abgesehen vom literarischen Wert macht sie in ihrer dezenten Eleganz auch im Regal etwas her.