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 USA - Großmacht unterm Sternenbanner


Cover
Gesamt +++--
Aufmachung


Der Cthulhu-Quellen-Band "USA - Großmacht unterm Sternenbanner" könnte unter dem Motto stehen "Was Sie schon immer über die USA wissen wollten - oder auch nicht …". Er ist keine einfache Neuauflage des vergriffenen Bandes "Amerika - In Städten und Wäldern", sondern wurde neu konzipiert und erweitert. Das Softcover weichte dem edlem Hardcover.

Der Band ist für Spielleiter wie Spieler gleichermaßen geeignet, was daran liegt, dass er eher Geschichtsbuch als Rollenspielmaterial beinhaltet. Damit wird eine Tendenz zur Faktensammlung im schönen Einband fortgeführt, die zwar Sammler und Geschichtsfans freuen dürfte, aber viele junge und neue Spieler abschrecken könnte. Wer von "USA - Großmacht unterm Sternenbanner" hauptsächlich gut recherchiertes und aufbereitetes Geschichtsmaterial erwartet, der bekommt es. Wer anderes erwartet, wird überwiegend enttäuscht oder auf andere Bände vertröstet. Der Band zeigt das Problem des historischen Hintergrundes vom Rollenspiel Cthulhu: Das Lesen des Bandes ist in großen Teilen so aufregend wie das Lesen eines Geschichtsbuches und nur in kleinen Einheiten erträglich. Wer bei Cthulhu viel Wert auf historische Authentizität legt, wird jubilieren; wem es aber zum Beispiel völlig egal ist, wie Alkohohl während der Prohibition hergestellt und transportiert wurde, dürfte aufgrund der dafür überwiegend verschwendeten Seiten ächzen. Abgesehen davon kann man sich fragen, was man bei einem Horror-Rollenspiel mit all diesen Fakten anfangen soll. Ein Argument für die gewählte Vorgehensweise könnte sein, dass der USA-Band der grundlegende Band ist und Lovecraft-County in den folgenden Bänden vorgestellt wird. Aber es ist unbefriedigend auf ebenjene Folgebände, "Terra Cthuliana" oder gar "Cthulhu Now", verwiesen zu werden, wenn man etwas zu einem wichtigen Ort oder Kult erfahren möchte.

Im Band werden so viele Themen bearbeitet, dass hier nur ein Ausschnitt vorgestellt werden soll. Das Kapitel "Das Land" beschreibt recht ausführlich die Geschichte der USA seit Kolumbus. Es folgen Fakten zu den 1920er. Andere Epochen werden nicht behandelt, aber die 1920er sind die wichtigste Epoche im Cthulhu-Rollenspiel, spielen hier doch die meisten Geschichten von H. P. Lovecraft, dem Erfinder des Cthulhu-Mythos. Dann werden elf Städte detailliert und dreizehn weitere kurz beschrieben. Auch wenn es manchmal etwas Lokalkolorit zu lesen gibt, sind die Stadtbeschreibungen nur wenig interessant. Manchem Spielleiter könnte es zum Beispiel völlig egal sein, welches Hotel real in welcher Stadt existierte, und er könnte einfach ein fiktives Hotel in die Stadt seiner Wahl setzen. Andererseits weiß man ja nie, in welche Stadt der Spielleiter die Spielercharaktere führen möchte.

Relevanter für das Rollenspiel ist dann das Kapitel "Gesellschaft". Hier erfährt der Leser eigentlich alles Notwendige, um eine Person dieser Epoche darstellen zu können. Was macht der US-Amerikaner in seiner Freizeit, was isst und trinkt er? Was hört, liest und sieht er? Wie steht er zu Kirche und Politik? Aber auch das Radio und Kino werden betrachtet, ebenso der in weiten Teilen der Gesellschaft vorherrschende Rassismus. Viel zu lang ist das Kapitel zur Prohibition geraten. So wichtig diese Zeit auch für die USA waren, in dieser Detailtiefe wird es wohl kaum jemals in einer Spielrunde relevant. Natürlich sind Speakeasies Schauplätze, an denen sich die Spielercharaktere mal herumtreiben, und ist die organisierte Kriminalität ein möglicher Hintergrund für Abenteuer, aber muss man als Cthulhu-Spieler wirklich wissen, wie Alkohol produziert und transportiert wurde? Spielt jemand Gangster-Kampagnen? Tipps für cthuloide Einbettungen der Fakten sind leider wenig bis gar nicht vorhanden. Das Thema Film bietet ein paar Ideen, wie die Spielercharaktere mit dem Mythos in Kontakt kommen könnten, aber auch hier überwiegen Fakten gegenüber Rollenspielmaterial. Im Anschluss erfährt man alles über die naturwissenschaftlichen und technischen Fortschritte der damaligen Zeit. Das damalige Gesundheitssystem wird ebenfalls recht ausführlich beschrieben.

Ein Begriff, der meist fällt, wenn es um die 1920er geht, ist der sogenannte "Roaring Twenties". Der Band zeigt gut, warum der Begriff seine Richtigkeit hat, ist doch gerade diese Epoche auch von Konsum und Ausgelassenheit geprägt. Bis zum berüchtigten Börsencrash war das Jahrzehnt von Aufbruchstimmung geprägt. Eine gelungene Chronologie der "Roaring Twenties" ist zusätzlich vorhanden.

Das Kapitel "Leben in den Vereinigten Staaten" befasst sich mit dem US-amerikanischen Alltag und wird mit einer, wie gehabt ausführlichen, Abhandlung über die verschiedenen Verkehrsmittel der damaligen Zeit eröffnet. Die Hochschulen werden - inklusive studentischem Leben und Verbindungen - vorgestellt, leider wird das Thema Verbindungen nicht (cthuloid) genutzt. Auf den (pseudo-)okkulten Hintergrund mancher Vereinigungen wird zwar eingegangen und natürlich wird auch Skull & Bones kurz vorgestellt, aber das war es dann auch schon. Das Kapitel über Museen beherbergt dann wieder Ideen, wie die Spieler dort auf magische Artefakte stoßen könnten. Bibliotheken als wichtiger Rechercheort werden ebenso vorgestellt wie die Presse - immerhin ist Reporter ein beliebter und sinnvoller Beruf für einen Mythos-Investigatoren. Polizei und Militär darf dann natürlich auch nicht fehlen.

Der geneigte Leser mag sich einen unheimlich klingelnden Jingle vorstellen, denn nun verlässt der Band die harten Fakten und es geht um Mythen, genauer gesagt um die Mythen der amerikanischen Ureinwohner, deren Stämme und Geisterwelt werden außerdem beschrieben. Es folgt eine etwas merkwürdig sortierte, aber interessante Vorstellung verschiedener, unheimlicher Orte in den Vereinigten Staaten inklusive cthulhoider Bezüge.

Kurz vor Toreschluss gibt es dann auch endlich was zum Thema "Lovecraft County" zu lesen. Den Anfang macht eine kurze Zusammenfassung und Aufzählung der wesentlichen, dort spielenden Geschichten von H. P. Lovecraft sowie anderer Mythosautoren. Praktisch ist die Karte der Gegend, in der die fiktiven Ortschaften geschickt in das reale Massachusetts integriert wurden. Arkham, Innsmouth, Dunwich aber auch andere Orte werden kurz abgehandelt. Man merkt aber, dass das wirklich Lovecraft-County erst in den Regionalbänden zu finden sein wird, so ist zum Beispiel Y´ha-nthlei in dem Band "Terra Cthuliana" zu finden.

Das abschließende Kapitel beherbergt dann die volle Breitseite an spielrelevantem Material, denn es beschreibt die Tätigkeiten diverser Berufe in Amerika, die gerne von Spielercharakteren ausgeübt werden wie Journalist, Polizist, Detektiv und Gerichtsmediziner. Ebenfalls nützlich ist die Auflistung und Beschreibung zahlreicher Personen, die gut als Faktenlieferant für die Charaktere dienen könnten. Ein Index ist selbstverständlich vorhanden.

Vor der Gesamtwertung noch ein paar Sätze zur Aufmachung: Wie gewohnt, weiß sie, zu überzeugen. Der Cover-Umschlag ist zwar etwas dunkel geraten und die amerikanischen Farben wären eventuell passender gewesen, aber so ist er jedenfalls stilvoll. Das zweispaltige Layout ohne Hintergrundgrafiken ermöglicht ein einfaches Lesen, zur Abwechslung für das Auge gibt es die üblichen historischen Bilder. Leider weist der Band einige Rechtschreibfehler auf, einen doppelten Absatz und außerdem unschöne Umbrüche. In manchen Aufzählungen wäre der Einsatz von Semikolons sinnvoll gewesen und ein paar Formulierungen sind etwas unglücklich geraten. Insgesamt ist das alles aber kein relevanter Kritikpunkt.

Ist Rollenspiel ein getarnter Versuch des Bildungsbürgertums, Jugendlichen Geschichtsunterricht zu geben? Möchten Rollenspieler wirklich Geschichtsbücher statt kreativer Eigenleistungen? Es macht oft so viel Spaß, fiktive Inhalte eines Quellenbuches zu lesen, selbst wenn man dort nicht spielt, nur weil der Hintergrund so einfallsreich ist. Bei "USA - Großmacht unterm Sternenbanner" zeigt sich das Problem des historischen Hintergrunds des Cthulhu-Rollenspiels beziehungsweise einer speziellen Ausprägung des Umgangs damit. Lovecraft schaffte einen unbeschreiblichen fiktiven Kosmos voller mächtiger Gottheiten, die dem Menschen so fremd sind, dass man sie nicht nur als düster beschreiben kann. Er schuf eine an realen Gegebenheiten orientierte Variante von Neu-England, die voller dunkler Kultisten, "Monster" und Unheimlichkeiten ist. Der vorliegende Quellenband hat damit wenig zu tun. Wie auch schon bei "Cthulhu Now", nur noch viel stärker, hat man das Gefühl, einen allgemeinen USA-Quellenband vor sich zu haben, dessen cthuloide Bezüge nur kleiner Bestandteil sind. Natürlich vergrößert das den möglichen Käuferkreis, aber ein wenig Etikettenschwindel ist das schon.
Wie anfänglich schon geschrieben: Wem es hauptsächlich um harte Fakten geht, bekommt gut recherchierte und anschaulich zusammengefasste Texte. Wem es bei einem Rollenspielprodukt um etwas anderes geht, der sollte sich überlegen, ob er sein Geld nicht für die angekündigten Quellen- und Abenteuerbände zu Lovecraft-County spart.


Bernd Wachsmann



Hardcover | Erschienen: 01. Oktober 2008 | ISBN: 9783939794752 | Preis: 34,95 Euro | 280 Seiten | Sprache: Deutsch

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