Wenn es eine Schlacht gibt, die als Inbegriff des Ersten Weltkrieges gilt, dann ist es Verdun. Sie steht für einen erbarmungslosen Abnutzungskrieg, in welchem die neuen technischen Möglichkeiten auf das "Menschenmaterial" der damaligen Zeit trafen. Eine Schlacht, in der sich die scheinbar "guten alten" Kriegstage verabschiedeten zugunsten eines hoch technisierten anonymen Kampfes. Befördert wurde die Bedeutung dieser Schlacht insbesondere durch deren propagandistische Ausschlachtung in der Weimarer Republik sowie während des Nationalsozialismus. Hinzu kam, dass diese Schlacht auch eine mannigfaltige mythenumrankte Rezeption in zahlreichen Filmen, in der Literatur sowie in der bildendenden Kunst erfuhr. Hundert Jahre danach stellt sich somit die Frage, wie viel Realität in der kollektiven Erinnerung an die "Urschlacht des Jahrhunderts" noch steckt.

Unter den deutschen und französischen Erinnerungsorten nimmt Verdun eine Sonderstellung ein. Über wenige Ereignisse und Orte des Ersten Weltkrieges ist mehr geschrieben und geurteilt worden.

Der vorliegende Band widmet sich genau dieser Frage, indem er die Erinnerung an die Schlacht einer kritischen Würdigung unterzieht. Neben den bereits angesprochenen künstlerischen Verarbeitungen und der propagandistischen Inbesitznahme nach 1918 kommt dabei auch die historische Dimension des Ortes zur Sprache. Denn Verdun war, nachdem die Enkel Karls des Großen dort die Teilung beschlossen hatten, quasi die Geburtsstätte von Frankreich und Deutschland, also genau von jenen beiden Nationen, die sich mehr als tausend Jahre später in den Gräben rund um Verdun gegenüberstanden. Im Gegensatz zu dieser rückwärts gewandten Betrachtungsweise begeben sich die letzten drei Aufsätze des Bandes in die heutige Zeit und suchen nach aktuellen erinnerungspolitischen Spuren und pädagogischen Vermittlungsmöglichkeiten.

Wohl selten ist der Mythos "Verdun" besser aufgearbeitet worden als in diesem Sammelband. Denn dieser zeigt nicht nur die Ursachen für dessen Entstehung auf, sondern dekonstruiert ihn auf vielfältige Art und Weise. Immer wieder ergibt sich dabei die Frage, weshalb sich gerade Verdun und beispielsweise nicht die Schlacht an der Somme ins Gedächtnis der Nachwelt einbrannte und zum "Chiffre des Weltkrieges" wurde. Auf vorzügliche Weise nähern sich die Autoren dieser Frage nicht nur mittels unterschiedlicher Perspektiven an, sondern legen ihre Ergebnisse sehr stringent und äußerst nachvollziehbar dar. Insbesondere der Beitrag "Der deutsche Verdun-Mythos" von Matti Münch schlüsselt differenziert auf, wie die Schlacht "postum" zum Mythos wurde und selbst heute noch in Titeln einschlägiger Publikationen (zum Beispiel "Verdun 1916. Urschlacht des Jahrhunderts" ) weitertransportiert wird. Hervorzuheben unter den allesamt sehr guten Beiträgen des Bandes ist auch Diego Voigts Aufsatz "Prometheus", indem er den kühnen Versuch unternimmt, das Leben der Soldaten in Verdun mit der antiken Gestalt des Prometheus in Beziehung zu setzen und damit die Situation auf den Punkt bringt:

Wie Prometheus an seinem Felsen befinden sich die Soldaten über einem Abgrund: Kälte, Hitze, Ungeziefer, Krankheiten und den ständigen Tod vor Augen, der sie jederzeit durch Granaten und Kugeln erreicht.

Begleitet werden Voigts Gedanken durch zum Teil drastische Fotografien: mit Henkern und ihre am Galgen strangulierten Opfern, mit von Granatsplittern entstellten Gesichtern. Bebildert sind auch die anderen Aufsätze des Bandes, allerdings deutlich neutraler oder künstlerisch verschlüsselt. Häufig handelt es sich dabei um gestellt wirkende Fotografien von der Front, aber auch um Filmszenen oder Gemälde. Nicht zuletzt finden sich in dem Band auch zahlreiche Berichte von Zeitgenossen sowie literarische Zeugnisse, welche ebenfalls ihren Beitrag zur Entstehung des Mythos um Verdun beitrugen.

FAZIT: Der Band dekonstruiert auf vorbildliche Art und Weise den Mythos "Verdun", der nach wie vor unsere Vorstellung vom Ersten Weltkrieg prägt. Er nimmt dabei nicht nur die militärhistorische Dimension in den Blick, sondern auch die künstlerische Rezeption der Schlacht.

Weitere Informationen zum Buch finden sich auf der Webseite des Verlags.