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 Vergissmeinnicht


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Humor
Spannung


Nacktbilder von Kindern werden sehr schnell als ausbeuterische Pornografie verschrien, geschaffen, um gierigen Erwachsenen Lust zu bereiten. Doch dieses Buch widmet sich einer ganz anderen Seite der Aktfotografie, nämlich der dargestellten Unschuld und Lebensfreude.

Die hochintelligenten Schwestern Myla und Pru Wolfe wachsen behütet bei ihrem Vater auf, die Mutter starb kurz nach Prus Geburt. David, der Vater, kümmert sich aufopferungsvoll um die Kinder und bildet sie dazu, durch den äußeren Schein hindurchblicken zu können. Eine Freundin des Vaters, Ruth, ist Fotografin. Sie ist es, die die beiden Mädchen zum ersten Mal fotografiert. Doch bei diesem einen Mal bleibt es nicht, bald entsteht eine ganze Serie. Die Mädchen fühlen sich wohl bei diesen Aufnahmen, zeigen sie doch, wer die beiden sind. Auch Aktaufnahmen sind dabei. Das Ruhmesversprechen, das entsteht, als Ruth eine Ausstellung in New York angeboten wird, verlockt die Kinder. Doch mit dem Ruhm kommt die Bekanntheit, die Ruth-Handel-Bilder werden in ganz Amerika kontrovers diskutiert: Darf man zwei so schöne und selbstbewusste Mädchen den öffentlichen Augen preisgeben? Hat die Gier der Menschen überhaupt verdient, so etwas Unschuldiges betrachten zu dürfen? Oder verderben die Augen des Betrachters die Unschuld der Kinder für immer? Ist es noch ästhetischer Akt, zwei nackte und unbekümmerte Mädchen zu fotografieren oder schon Pornografie?
Obwohl ihr Umfeld die Mädchen behüten will, werden die Mädchen mit dieser ungerechtfertigten Kritik konfrontiert. Doch wie sehr diese öffentliche Meinung ihr Leben wirklich beeinflusst, wird erst an einem tragischen Ereignis deutlich.

Der Leser steigt dreißig Jahre später in die Geschichte ein. Myla nennt sich nun Kate Scott und unterrichtet an einem College. Als sie eine Beziehung mit einem Kunstprofessor beginnt, wird sie überraschend mit ihrer Vergangenheit konfrontiert: Samuel, ihr Freund, hält eine Vorlesung über die Fotografien Ruth Handels, nicht ahnend, dass Myla die Ältere der beiden Mädchen ist. Alte Wunden, verursacht durch das Schicksal ihrer kleinen Schwester Pru, brechen auf und Myla flieht Hals über Kopf nach Hause, nach Portland zurück, wo eine seltsame Schnitzeljagd durch ihre Vergangenheit auf sie wartet.

Der Leser taucht nur schrittweise in die Geschichte der Wolfe-Mädchen ein. Kleine Abschnitte aus der Gegenwart, geschildert aus Mylas Sicht, wechseln sich ab mit kurzen Episoden, in denen Pru das Wort ergreift und darstellt, wie ihre Kindheit aus ihrem Blickwinkel war. Zum besseren Verständnis für den Leser sind sehr genaue Beschreibungen der Fotos eingestreut, die schildern, was genau wie abgebildet wird und die auch erklären, wie die Stimmung, die herrscht, gedeutet werden kann.
Zusammen bilden diese drei Erzählarten eine wunderschön zu lesende Einheit. Das Bild der Mädchen entsteht förmlich vor dem Auge des Lesers, er lernt, etwas Offensichtliches anders zu sehen. Die Medien sehen in den Bildern nur Pornografie, doch Myla, Pru, ihre Familie, ihre Freunde und mit ihnen der Leser erkennen, dass mehr hinter diesen Bildern steht als der Wunsch, Nacktheit abzubilden.

Teilweise sind die Wechsel zwischen den Passagen verwirrend, da es keine eindeutige Kapitelunterteilung gibt und auch die Inhalte nicht wirklich zusammenhängen. So wird zum Beispiel mal ein Bild beschrieben, das erst Dutzende von Seiten später in der Handlung auftaucht, oder die Schilderungen der kleinen Pru haben meist keinen direkten Zusammenhang mit den Erinnerungen der erwachsenen Myla. Doch diese Erzähltechnik ist auch äußerst faszinierend, wenn der Leser sich darauf einlässt.

Gewöhnungsbedürftig ist zunächst die außergewöhnliche Intelligenz der Mädchen. Schon im Alter von zwei können beide fließend sprechen und wollen lesen lernen, mit acht verstehen sie die theoretischen Ausführungen ihres Vaters besser, als manch Erwachsener es vermag. Dadurch wirken die beiden etwas befremdlich, denn einerseits erscheinen ihre Gedanken und Fähigkeiten wie die Erwachsener, andererseits sind es aber doch nur Kinder, die den Schutz ihrer Umgebung brauchen.

Dieses Buch beleuchtet einmal einen anderen Blickwinkel. Normalerweise geht es in Beiträgen über Kinder und Aktfotografie immer um die Gefahren und die Missbräuche der Pornografie, selten wird der nackte Körper als etwas Unschuldiges, Natürliches und Schönes empfunden. Dieses Buch gibt zwar kaum Antworten, warum das denn so ist und liefert auch keine Lösungen, aber es regt zum Denken an und dazu, sich nicht immer der öffentlichen Meinung anzuschließen, sondern sich auch mal selbst ein Bild und Gedanken zu machen - nicht zuletzt durch die tragischen Geschehnisse um Pru.

Anja Thiemé



Hardcover | Erschienen: 01. März 2006 | ISBN: 3785715714 | Preis: 19,90 Euro | 397 Seiten | Sprache: deutsch

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