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 Victoria II

Blut und Eisen

Herausgeber: Paradox Interactive
Verlag: Koch Media

Cover
Gesamt +++++
Action
Anspruch
Aufmachung
Bedienung
Spannung
Spielregel
Strategie
Ton
Was wäre, wenn? Dieser zeitlosen Frage wohnt seit jeher ein spielerisches Element inne, das sich mit Vorliebe in dem Genre der "Alternate History", der kontrafaktischen Geschichtsschreibung, äußert. Zum Beispiel so: Was wäre gewesen, wenn anno 1851 nicht Preußen und Österreich das kleine Land Dänemark besiegt hätten, sondern die wackeren Dänen bis zur Elbe durchmarschiert wären? Hätte es dann vielleicht das Deutsche Kaiserreich nie gegeben? Wäre das Rheinland nie industrialisiert worden? Hätte sich eventuell das Nachbarland Polen zu einer Großmacht aufgeschwungen und den Deutschen Bund destabilisiert, bis dort ein Bürgerkrieg zwischen fanatischen Landarbeitern und einem liberalkonservativen Bürgertum ausgebrochen wäre?

Ein Staat im Werden

Solchen Fragen geht seit jeher die schwedische Softwareschmiede Paradox Interactive nach. Mit ihrem neuesten Streich "Victoria 2" versetzt sie den Spieler zurück in die bewegten Zeiten des 19. Jahrhunderts. Imperialismus, Kolonialisierung, Industrialisierung, Ständekonflikte und Nationenwerdung - das sind die großen Themen jener Zeit, und mit eben jenen darf sich nun auch der Spieler herumschlagen. Als lenkende Hand eines Staats seiner Wahl - und das bedeutet: jedes gewünschten Staats der damaligen Epoche, ob Großmacht, unbedeutender Satellitenstaat oder fernöstliche Monarchie - muss er die eigenen Landsleute durch die Wirren der Zeit führen; militärisch, wirtschaftlich und politisch. Und da wir es hier mit einem Paradox-Spiel zu tun haben, geht dies nicht immer leicht von der Hand. So gibt es in unserem Musterstaat - unterteilt in Provinzen - mehrere Stände, von den Bauern über die Soldaten bis zu den Aristokraten, von den Handwerkern und Klerikern bis zu den Kapitalisten, die alle ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse haben ... Interessen politischer Natur, und Bedürfnisse als Konsumenten. Denn in "Victoria 2" gibt es nicht nur unterschiedliche Staatsformen (autokratische, republikanische und radikale), sondern auch Dutzende unterschiedlicher Parteien, die sich in Wahlen auszustechen versuchen und durch Sozial- und Politikreformen für ihre Klientel einsetzen. Der Konsum wiederum richtet sich auf knapp 40 unterschiedliche Güter, von der Schafswolle über Glasgut bis zum handlichen Gewehr für den nächsten Bürgerkrieg. Güter wiederum entstehen in sogenannten RGOs - Betrieben, Manufakturen, Farmen, Fabriken, in denen unterschiedliche Schichten arbeiten; Bauern in der Obstplantage, Arbeiter in der Munitionsfabrik. Wer also sein Land modernisieren will, muss auch die Veränderung seiner Bevölkerung in Kauf nehmen. Aus braven Handwerkern werden plötzlich aufsässige Fabrikarbeiter, die eine Gesundheitsversicherung fordern. Die aber lehnt das vom Adel gebildete Oberhaus ab. Der Konflikt nach den nächsten Wahlen ist vorprogrammiert ...

Tanz auf dem diplomatischen Bankett

Wer jetzt schon ahnt, wie komplex "Victoria 2" ist, hat noch keinen Blick auf die Diplomatieoptionen des Spiels geworfen. Sieben Großmächte konkurrieren hier um den ersten Platz in der Rangliste, neidisch beäugt von weiteren aufstrebenden Mächten. Für den politischen Erfolg sind sie sich für nichts zu schade. Da werden Bündnisse geschlossen und wieder gebrochen, werden Feinde unterstützt und Nachbarn bestochen oder beeinflusst, um dem eigenen Staat wohlgesonnen zu sein. Je nach diplomatischer Aktion büßt man dabei Prestige ein und fällt dann im Ansehen der Staatengemeinschaft. Gewonnene Kriege um die Ehre steigern das Prestige hingegen - und ermöglichen es, neue Provinzen zu erobern. Ob man diese allerdings halten kann, ist nicht gesagt; Eroberungskriege sind generell schwieriger als im zeitlich früher angesiedelten "Europa Universalis" und in der Regel nicht zu empfehlen. Sinnvoller sind da nationale Zusammenführungen einzelner Kleinstaaten (etwa in Deutschland oder Italien) und natürlich das rücksichtslose Ausbeuten von Kolonien in Afrika. Moral? Nicht in diesen bewegten Zeiten. Zumindest solange nicht, bis die Sklaverei abgeschafft wird ...

Die Königin erstrahlt in neuem Glanz

"Victoria 2" ist - wie auch sein Vorgänger, das legendäre "Victoria - An Empire under the Sun" - ein Strategiemonster, das eine fürstliche Einarbeitungszeit verlangt, den Spieler jedoch mit seiner unvergleichlichen Stimmung, historisch stimmigen Events und einer enormen taktischen Vielfalt und spielerischen Freiheit belohnt. Vom Ansatz und seiner Komplexität her übertrifft es den Klassenprimus "Europa Universalis" um ein Vielfaches, ist jedoch - paradoxerweise - durch die exzellenten Tutorials und weitreichende Automatisierungsfunktionen deutlich zugänglicher als andere Spiele der schwedischen Strategieschmiede. Wer mag, kann ganze Entscheidungskomplexe (Welthandel, Diplomatie, Heeresaufbau etc.) an den Computer abgeben und sich auf Teilaspekte - etwa den technologischen Fortschritt, den Industrieaufbau oder, last not least, das Verschieben seiner Armeen konzentrieren ... oder den ganzen Staat selbst lenken wie die titelgebende englische Königin. Das funktioniert erstaunlich gut und spielt sich sehr komfortabel.
Zudem sieht "Victoria 2" besser aus als jedes vorangegangene Spiel der Paradoxoianer; die Politikkarte gleicht einer historischen Landkarte, im geografischen Modus erkennt man hübsche Felder und schroffe Felsen. Freilich bleibt auch "Victoria 2" optisch zweckmäßig, verzichtet auf jegliche Animationen und einen taktischen Kampfmodus und wird deshalb nur ein bestimmtes Klientel erreichen. Dieses aber wird begeistert sein und auch über das (im Vergleich zur 2. Weltkrieg-Simulation "Hearts of Iron III") deutlich bugfreiere Auftreten von "Victoria 2" freuen.
Zu kritisieren sind allein die (im ungepatchten Zustand) mangelhafte deutsche Übersetzung des Spiels und der Verzicht auf ein gedrucktes Handbuch, wie man es bei einem so komplexen Spiel eigentlich erwarten darf. Dem erstgenannten Mangel kann man aber dank der leichten Modbarkeit des Spiels und der aktiven Fangemeinde rasch abhelfen; und ein PDF-File mit dem Handbuch findet sich natürlich ebenfalls auf der CD. Immerhin liegt dem Spiel eine großflächige Provinzenkarte bei sowie ein kleines Heft mit Übersichten über politische Reformen, Industrigebäuden und Bevölkerungsschichten bei.Für den Einsteiger eine zumindest erste Orientierungshilfe ...

Fazit

"Victoria II" ist ein zwar schwer zu erlernendes, aber packendes und abwechslungsreiches Spiel, das es dem Spieler gestattet, die Geschichte des 19. Jahrhundert bis zum 1. Weltkrieg umzuschreiben - mit Blut und Eisen! Wer also Dänemark zur Großmacht aufsteigen, Preußen zu einem friedlichen Agrarstaat umbauen oder die Inuit Kanada unterwerfen lassen will, findet hier die Herausforderung seiner Spielerkarriere ...

Hagen Hoffmann



CD-ROM | CD-Anzahl: 1 | Erschienen: 13. August 2010 | FSK: 6 | PC | Preis: 33,99 Euro | Sprache: Deutsch | Systemanforderungen: Grafikkartentypen: NVIDIA GeForce 8800, ATI Radeon X1900
DirectX Version: 9.0
Arbeitsspeicher: 2048 MB
Prozessor: 2.4 GHz, Intel Pentium 4, AMD kompatibel
Soundkarte: DirectX kompatibel

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