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Von Januar bis Mai 2010 zeigt der Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart in Berlin in der Ausstellung "Bestiarium" Werke des US-amerikanischen Malers Walton Ford. Der Name ist Programm: Ford, 1960 im Staate New York geboren, wirft in seinen Aquarellen einen intensiven und außergewöhnlichen Blick auf die Tierwelt. Im Taschen Verlag ist nun der Bildband "Pancha Tantra" erschienen. Das Panchatantra ist ursprünglich eine Sammlung von Fabeln und Tiergeschichten, die vor mehreren tausend Jahren in Indien als Hofdichtung entstanden. Wären Walton Fords Bilder Geschichten, dann wären auch sie Fabeln, denn sie gehen über die bloße kunstvolle Abbildung von Tieren weit hinaus. Auch sie erzählen Geschichten, denn jede Szene hat weitaus mehr zu sagen, als das Auge auf den ersten, flüchtigen Blick hin sieht.
Beim ersten Blättern wirken Fords Aquarelle zunächst nur etwas anachronistisch und archaisch, denn sie erinnern stark an Drucke aus der Kolonialzeit des 19. Jahrhunderts: dramatische, herrlich kolorierte Abbildungen von Exoten, die man zu jener Zeit in der westlichen Welt wohl meistens nur vom Hörensagen kannte - Schlangen, Tiger, Elefanten, Löwen, Affen und bunte Vögel; dazu Szenen wie aus einem abenteuerlichen Bericht eines Großwildjägers, etwa ein ausbrechender Panther, der vor einer mit Fackeln bewaffneten Menschenmenge flieht, oder eine Schar von Affen, die der Fotografin die Kamera entwendet hat.
Doch beim näheren Betrachten offenbart sich der Anthropomorphismus, der Fords Bildern innewohnt und ihr zentrales Element ist - vermenschlicht, aber nie verniedlicht. Hier sieht man einen alten Affen, der im Sterbebett liegt und durch seinen ernsten Blick, den er an den Betrachter richtet, an einen ehrwürdigen Herrn erinnert; dort hält ein Goldlangur, auf einem Baum sitzend, in einer Hand einen luxuriösen rosa Fächer, mit der anderen lässt er eine Reihe von Buchseiten mit Illustrationen achtlos zu Boden fallen. Viele Tiere sind auf eine subtile, beunruhigende Art vermenschlicht, die Szenen teils grotesk, häufig von grausamer Gewalt durchzogen: eine Reihe von Spechten hackt einem großen Laufvogel Löcher in den Hals; eine Gruppe von Eisvögeln hat einen großen Fisch gefangen, aus dessen aufgeschlitztem Bauch weitere tote Fische quellen; ein Okapi ist gerade im Begriff, an einer Honigwabe zu lecken - nicht ahnend, dass dies einen tödlichen Mechanismus auslösen wird, durch den das Tier erschossen wird.
Die Gewalt geht hier sowohl von Menschen als auch von Tieren aus – in einem Gemälde frisst ein Leopard einen unglücklichen Tierforscher, im nächsten steht ein Ara kurz davor, in eine menschliche Falle zu gehen, im nächsten sieht man einen Schwarm Vögel, der ein Nashorn mittels einer Schnur eingefangen hat und nun auf ihm reitet, während das Nashorn einen von ihnen bereits unter seinen Füßen zerstampft hat. Andere von Fords Tieren weisen offen menschliche Züge auf, vor allem die zahlreichen Affen, die in einem Bild an einem Tisch sitzen und, wie bei einem ausgelassenen Bankett, mit einem Glas Wein dem Betrachter scheinbar zuprosten. Häufig sind sexuelle Inhalte mehr oder weniger versteckt – oder sie springen nur nicht direkt ins Auge, weil sie so ungewohnt sind, dass wir sie einfach nicht sehen wollen; etwa bei dem Elefanten, auf dessen erigiertem Glied sich gerade zwei Vögel paaren, oder bei dem Leopard und dem Zebu, die sich ineinander verbissen im Todeskampf wälzen, während das riesige Rind die Großkatze penetriert.
Der großformatige Bildband gibt einen sehr guten Eindruck von Fords Werken, kann aber trotz seiner wirklich großzügigen Maße die wahren Dimensionen begreiflicherweise nicht wiedergeben, denn die Originale bilden die Tiere vielfach in voller Lebensgröße ab - sogar den Elefanten. Sie zwingen ihren Betrachter, einige Schritte zurücktreten, um das ganze Bild zu erfassen, oder aber nur einzelne Ausschnitte anzusehen. Das versucht geschickt auch der Bildband, der viele von Fords Werken in großen Ausschnitten zeigt, bevor dann das Gesamtbild gegenübergestellt wird. Die groß dargestellten Ausschnitte aus den Bildern ermöglichen auch einen genauen Einblick in Walton Fords Technik; die meisten seiner Bilder sind Aquarelle. Von nahem betrachtet wirken die Pinselstriche fast grob, wirken die Tiere wie aus dem Lehrbuch; sieht man aber das Ganze, so ist es absolut erstaunlich, wie lebensnah dargestellt und treffsicher charakterisiert die Tiere sind.
Der Taschen Verlag hat keine Mühen gescheut, um Walton Ford optisch in Szene zu setzen: Der stabile Hardcover-Bildband besticht durch die edle, sehr hochwertige Aufmachung mit sehr festen, dickem Papier, brillantem Druck und einem wunderschönen Einband mit Goldschrift; entfernt man den Einband, so findet man Autor und Titel in den Einband geprägt. Das Buch enthält ein Vorwort von Bill Buford auf Englisch, Französisch und Deutsch. Es wirft einen spannenden Blick auf Walton Fords Welt und seine Inspirationen. Nach dem großen Mittelteil, dem eigentlichen Bestiarium mit den Gemälden, folgt noch ein ausführlicher Anhang, in dem Walton Ford preisgibt, wie er zu seinen Motiven angeregt wurde, häufig sind es Geschichten, Gedichte und Romanfragmente, die ein bestimmtes Bild zuerst im Kopf und dann auf der Leinwand entstehen ließen. Zum Abschluss findet sich noch eine Biografie Fords.
„Pancha Tantra“ ist ein großartiger, spannender Bildband, der seine Geheimnisse erst Stück für Stück und nach intensiver Betrachtung preisgibt. Was auf den ersten Blick wie atemberaubende Abbildungen aus der Welt der Flora und Fauna und wie aus einem veralteten Zoologie-Nachschlagewerk erscheint, zeigt plötzlich Schattenseiten und beunruhigende Szenen aus einer durch und durch anthropomorphen Welt. Durch die sehr hochwertige Aufmachung ist dieser Band auf jeden Fall seinen Preis mehr als wert!