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 Wie ein Wanderer in einer mondlosen Nacht

Autoren: Dai Sijie
Übersetzer: Giò Waeckerlin-Induni
Verlag: Piper

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Als sie bei einem Vortrag dolmetscht, erfährt eine in Peking studierende Französin von einem Sutra, einer religiösen Schrift des Buddhismus, das bei der Entführung seines Besitzers, des letzten chinesischen Kaisers, durch die Japaner zerrissen wurde und verloren ging. Diese Geschichte fasziniert sie, und umso verblüffender erscheint ihr der Umstand, dass sie bald einen Pekinger Gemüsehändler kennen lernt, der ebenfalls um das Sutra weiß. Sein Leben ist eng damit verknüpft, denn seine Mutter ist ein Abkömmling des Kaiserhauses, sein Vater hingegen ein in einem Umerziehungslager internierter französischer Orientalist, der unter anderem die seit vielen Jahrhunderten ausgestorbene Originalsprache des Sutra entziffert hat, Tumschuk, und das gleichnamige Land erforscht hat; sein Sohn ist nach der Sprache und dem zugehörigen historischen Land benannt.
Die französische Studentin und Tumschuk verlieben sich leidenschaftlich ineinander. Doch schließlich trennt sie nach einem massiven Schicksalsschlag die geradezu manische Suche nach dem seidenen Sutra, die sie ohne einander durch viele Länder Asiens führt und sie einander letzten Endes ums Haar wieder zueinander finden ließe – wäre da nicht auch die Politik, die ein Zusammentreffen nach Jahrzehnten durchkreuzt.

Für einen Europäer ohne engen Bezug zu Buddhismus und Ostasien liest sich dieser Roman nicht einfach, und er eignet sich ganz gewiss nicht dazu, einen ersten Kontakt zu China und seiner Literatur und Kultur herzustellen. Dazu wirkt der Roman zu zerrissen, es treten zu viele scheinbar unbedeutende Figuren auf, die Szenerien wechseln ständig, und man gewinnt gelegentlich den Eindruck, der Autor verzettle sich – dies zum Beispiel, als die französische Ich-Erzählerin aus Trotz ihr Interesse an ostasiatischen Sprachen gegen die afrikanischen eintauscht und eine für den Fortgang des Romans völlig unerhebliche, doch ausführlich geschilderte Reise nach Afrika antritt.
Wenn es sich wirklich um ein Sichverzetteln und einen wenig strukturierten Roman handelt und nicht um gewisse künstlerische Freiheiten, die man einem renommierten Autor wie Dai Sijie spätestens seit seinem Werk "Balzac und die kleine chinesische Schneiderin" zugestehen wird, so ist dies zumindest sehr charmant ausgearbeitet.

Echtes buddhistisches Gedankengut und die Eigenheiten einiger wichtiger ostasiatischer Länder und Regionen wie China, Tibet und Myanmar vermischt sich mit Imaginärem, denn das Land Tumschuk und seine Sprache sowie der berühmte Orientalist Paul d'Ampère sind "und ist es auch nicht wahr, so doch gut erfunden" und, wie der Autor in Interviews angab, als Hommage an die Geschichte Chinas und Ostasiens sowie an engagierte europäische Forscher zu verstehen. Auch die Kritik an den politischen Verhältnissen, nicht nur an den geradezu klassischen chinesisch-kommunistischen Praktiken von Umerziehungslagern und Zwangsarbeit, Selbstkritik und Sippenhaft, sondern auch an der bürokratischen Unbeweglichkeit benachbarter Länder ist nicht zu übersehen.

Ein wahrlich vielschichtiges Buch also mit Lokalkolorit, Philosophie und dem Augenmerk auf dem Suchen und Finden um jeden Preis, wenn man sich davon eine geistig-spirituelle Bereicherung erhoffen darf. Mancher Abschnitt lässt sich schwierig einordnen, weshalb ungeduldige, des Interpretierens, dem hier üppig Raum geboten wird, überdrüssige Leser gern einen Stern in der Wertung abziehen dürfen. Doch vermag dieser Roman ausgewählte Aspekte ostasiatischer Weisheit zu vermitteln, die zu betrachten und vielleicht mehrmals zu lesen sich lohnt.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 1. August 2009 | ISBN: 9783492050814 | Originaltitel: Par une nuit où la lune ne s'est pas levée | Preis: 19,95 Euro | 311 Seiten | Sprache: Deutsch

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