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Dies ist die Geschichte von Mathurin - einem, der es geschafft hat, das ärmliche haitianische Dorfleben hinter sich zulassen und nun als Anwalt für Unternehmensrecht kurz vor einem Karrieresprung steht. Alles scheint seinen Lauf zu nehmen, bis eines Tages Charlie, ein vierzehnjähriger Junge auftaucht und Mathurin auf schmerzliche Art und Weise wieder ins Gedächtnis ruft, woher er eigentlich kommt. Hier beginnt die Geschichte von Dieutor, so Mathurins Rufname in seinem Heimatdorf, der als fünfzehnjähriger Junge sein altes Leben zurückließ, um in der Stadt seine Träume zu verwirklichen. Doch nun holt ihn sein altes Leben ein - nicht nur, dass sein alter Name nach Dorf "stinkt" und ihn in der noblen Stadtgesellschaft zu diskreditieren droht, auch Charlies Lebensgeschichte bringt ihn unweigerlich zum Nachdenken - über sich, das Leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse.
Der Stern ist nur ein Bild, ein Wort, was strahlt, für etwas, was man noch nicht hat, aber auf das man zugeht, ohne zu zittern. Der Stern ist die Gestalt, die das Glück annimmt
In seinem sechsten Roman, der nun erstmals auf Deutsch erschienen ist, zeigt sich der haitianische Schriftsteller Lyonel Trouillot als kritischer Beobachter der haitianischen Gesellschaft. Im Zentrum stehen Mathurin, ein junger Anwalt, und Charlie, ein vierzehnjähriger Junge, die scheinbar aus demselben Dorf stammen. Als Letzterer bei Mathurin auftaucht und seine Geschichte erzählt, gerät Mathurins heile Welt zunehmend ins Wanken. Immer mehr offenbart sich ihm eine Welt, die geteilt ist in Arm und Reich. Denn Charlies Geschichte führt ihn nicht nur zurück zu den eigenen Ursprüngen, sondern auch zu dem Kinderheim, in welchem Charlie untergekommen war. Nach und nach erfährt Mathurin und mit ihm der Leser mehr von Charlies Vorgeschichte und lernt dabei auch Charlies Kumpel Nathanäel kennen, der besessen ist, die Welt besser zu machen. Dabei gerät Nathanäel in einen kleinkriminellen Sog, in dem selbst Kinder aus der "besseren Welt" gegen diese rebellieren. Ähnlich wie Dieutor alias Mathurin kämpfen Andy beziehungsweise Franck sowie Johanne beziehungsweise Yanick mit einer Art doppelten Identität, was sich auch hier in einer Umbenennung ihrer Namen offenbart. Und je länger Mathurin Charlies Geschichte zuhört, desto mehr wird im die Zweifelhaftigkeit seiner Existenz bewusst, wird sich selbst fremd und legt seine selbst auferlegte Maske ab.
Und ich werde ihm sagen, dass Nathanäel recht hatte: Jeder sollte einen Stern haben. Charlie hat seinen Stern verpasst. Nathanäel und die anderen auch.
Lyonel Trouillot ist ein Meister der Verschleierung, der Umschreibungen, der Andeutungen. Einer, der sich ganz in die Gedankenwelt seiner Erzähler - die Erzählperspektive wechselt im Laufe des Buches - begibt und die Geschichte genauso ungeordnet wiedergibt, wie sie sich in deren Köpfen abspielt. Ohne Erklärungen, ohne einordnende Hintergründe. So wird dem Leser erst allmählich klar, was die Personen miteinander zutun haben, wie alles zusammenhängt und was sich hinter so manchem anfangs rätselhaften Satz verbirgt. Auch verzichtet der Roman durchgehend auf wörtliche Reden. Im Geiste spricht vor allem Mathurin jedoch immer wieder Charlie an. Denjenigen, der verantwortlich dafür ist, dass er gezwungen ist, sein ganzes Leben zu hinterfragen: "VERDAMMT CHARLIE. DU BIST SCHULD. IN DIESER NACHT BIN ICH DEINETWEGEN ABGEDRIFTET." Zudem durchbricht der Briefwechsel zwischen Mathurin und seiner Jugendfreundin Anne, die noch immer in dem Dorf wohnt, aus dem Dieutor aufbrach, im letzten Teil den Erzählstil des Buches.
FAZIT: Ein bedeutungsvoller Roman, der vom illusionistischen Kampf für ein besseres Leben getragen wird, ein Leben mit einer Perspektive, ein Leben ohne Armut, zugleich aber auch die Zerrissenheit der eigenen Identität thematisiert.
Weitere Informationen zum Buch finden sich auf der Webseite des Verlags .
Der Roman stand im Übrigen auf Platz drei der Lit-Prom-Bestenliste Nr. 33, welche unter dem Vorsitz von Ilja Trojanow vierteljährlich die besten Literaturübersetzungen kürt.