Game-Based-Learning 2009
Videospiele haben in der heutigen Gesellschaft einen schlechten Ruf. Mit dem Begriff "Videospiel" werden erst einmal bluttriefende Ego-Shooter mit jeder Menge Gewalt und womöglich auch noch sexistisch anstößigen Szenen assoziiert. Gerade nach sozial katastrophalen Ereignissen werden wieder Stimmen laut, Videospiele zu verbieten. Dabei ist der Zusammenhang zwischen der Nutzung von Videospielen und Gewalttaten nicht wissenschaftlich belegt. Der amerikanische Secret Service fand sogar heraus, dass es zwischen Gewalttaten an Schulen und Videospielen keinen Zusammenhang gibt.
Dass Videospiele auch ein anderes Gesicht haben können als Gewalt und Sex, ist im wissenschaftlichen und industriellen Zweig der Gesellschaft schon länger bekannt. So trafen sich am 19. und 20. März 2009 wieder Vertreter aus der ganzen Welt auf der Konferenz "Game-Based-Learning 2009" in London, um über den Einsatz von Videospielen zum Lernen innerhalb und außerhalb des Unterrichts sowie über die Zukunft des Lernens zu diskutieren. Im Gegensatz zu vielen anderen Konferenzen war der wissenschaftliche Anteil jedoch relativ gering im Vergleich zu den Vertretern aus dem schulischen sowie industriellen Kontext. Die Themen waren praxisorientiert, die Theorie wurde nur dann bemüht, wenn es nicht vermeidbar war.
Der erste Tag der Konferenz stand ganz im Zeichen der Kommunikation und des Austausches der einzelnen Konferenzteilnehmer. Nachdem um 13 Uhr die Türen geöffnet und kurz darauf alle Teilnehmer von Nolan Bushnell, dem berühmten Gründer von Atari, der durchaus als Vater der Videospiele bezeichnet werden kann, begrüßt wurden, konnten die Teilnehmer zwischen drei Sessions wählen, die gleichzeitig angeboten wurden.
Eine Session namens "Pecha Kucha" wurde interaktiv gestaltet. Jeder Teilnehmer konnte seine Gedanken vorstellen und hatte dafür 400 Sekunden und 20 Folien zur Verfügung.
Die zweite Session bildete das Industrie Forum. Hierbei wurden eine Fallstudie von den Firmen ISFE und Slitherline, die Entwicklung von seriösen Games von ELSPA und die Rolle des Standorts einer Firma diskutiert.
Die dritte Session beschäftigte sich mit dem Einsatz von Game-Based-Learning in der Praxis. Dabei berichteten Lehrkräfte vom Einsatz verschiedener Konsolen, wie beispielsweise Wii, Nintendo DS und Playstation 2 im Unterricht. Spiele wie Nintendogs, Guitar Hero und Endless Ocean wurden bei den vorgestellten Unterrichtsformen in eine Projektarbeit integriert und förderten vor allem das Interesse der Lernenden am Thema, so dass diese sich mit Elan in die Arbeit stürzten und Informationen eigenständig erarbeiteten.
Die Hauptkonferenz am zweiten Tag wurde von einer kleinen Performance der John Stainer Primary School begonnen. Danach begrüßte der Moderator des Tages, Graham Brown-Martin, Konferenzdirektor und Gründer der Organisation "Learning without Frontiers" die Teilnehmer. Auch Tom Watson, Staatssekretär im Cabinet Office, richtete seine Grußworte an die Teilnehmer, bevor der erste Sprecher mit einem Video angekündigt wurde, der seinen Werdegang und seine Bedeutung für den Bereich der Games-Entwicklung zeigte.
Der Vater der Videospiele und Gründer von Atari, Nolan Bushnell, betrat unter lautem Beifall die Bühne und gab seine Vision von der Zukunft des Lernens zum Besten. Klassenzimmer sind in seinen Augen absolut veraltet und funktionieren nicht mehr, da der Unterricht nicht individuell gestaltbar ist und sich meist die eine Hälfte langweilt, während die andere Hälfte auf der Strecke bleibt. Er appellierte an die Nutzung moderner Medien, um den veralteten Unterricht aus seinen Fesseln zu befreien und sorgte mit provozierenden Thesen für jede Menge Diskussionsstoff.
[imgright]images/UploadGrafiken/GBL09_1.jpg[/imgright]Nach einer kurzen Pause hatte Derek Robertson von "Learning and Teaching Scotland" große Fußstapfen, in die er treten musste. Dies gelang ihm mit jeder Menge Humor und vielen Praxisbeispielen sehr gut. Er gab einen Überblick über die am Vortag vorgestellte Integration von Konsolespielen in den Unterricht. Außerdem stellte er die Ideen für die nächsten Jahre vor. Unter anderem ist der schulische Einsatz von "Second Life" geplant.
Ian Livingstone, Vorstandsmitglied von Eidos Interactive, der gleichzeitig das erste Pen & Paper Rollenspiel "Dungeon & Dragons" nach Europa brachte und Games Workshop gründete, konnte leider mit seinen beiden Vorrednern nicht ganz mithalten. Er gab einen interessanten Überblick über die Historie des Videogames, wobei die Teilnehmer neben Pong auch in Erinnerungen an Pacman, Zelda, Sonic und Gran Tourismo schwelgen konnten. Hauptsächlich thematisierte er allerdings die Verurteilung von Videogames, vor allem von Shootern, durch die Gesellschaft. Das Thema an sich war durchaus aktuell und interessant und auch sein Vergleich mit der Akzeptanz des Films vor wenigen Jahrzehnten und der heutigen Akzeptanz von Games war schlüssig. Die Fragestellung, warum gleiche Thematiken heutzutage im Film akzeptiert, in Videogames dagegen verteufelt werden, wurde von ihm an mehreren Stellen aufgenommen. Allerdings war unverständlich, wie die von ihm während des kompletten Vortrags immer wieder thematisierten und in erster Linie verteidigten Shooter wie beispielsweise "Call of Duty 4" im Bereich des Game-Based-Learning anzusiedeln sind. Der Vortrag wirkte eher wie eine Reihe von Rechtfertigungen und Verteidigungen.
Nach dem Lunch trug Dr. Richard Graham die Ergebnisse einer weitläufigen Studie über häufig auftretende Konsequenzen beim Spielen von "World of Warcraft" vor. Daraus wurde auf erschreckende Art und Weise deutlich, dass die Klischees durchaus von den meisten Spielern bestätigt wurden und die sozialen Kontakte der Spieler immer mehr auf die Kommunikation im Spiel verlagert werden. Alltägliche Dinge wie Essen, Trinken, Schlafen und die Körperhygiene werden vernachlässigt und regelrechte Suchterscheinungen treten auf, so dass das Ausschalten des Spiels den Spielern, die teils mehr als 14 Stunden täglich in der virtuellen Welt verbringen, große Überwindung kostet.
Danach stellte Graeme Duncan in seinem Vortrag verschiedene Arten von Online-Games vor und erläuterte deren Bedeutung. Sein Schwerpunkt lag dabei auf der Nutzung von sozialen Plattformen wie beispielsweise Facebook.
Dr. Jacob Habgood, Leiter von Sumo Digital, die bereits für viele namhafte Firmen wie SEGA, Konami und Sony Konsolespiele entwickelt haben, stellte ein Lernspiel vor, das sich bei ihnen gerade in der Entwicklung befindet und in einigen Monaten im Wii Store zur Verfügung gestellt werden soll.
[imgleft]images/UploadGrafiken/GBL09_2.jpg[/imgleft]Ein Highlight, das die zu Ende gehende Konferenz krönte, war der Vortrag des Bestseller-Autors Terry Deary, der unter anderem mit seiner Reihe "Horrible Histories" große Erfolge feiern konnte. Auf frische, charmante und amüsante Art zeigte er nochmals die Missstände in den Schulen auf und sorgte mit jeder Menge provozierender Beispiele dafür, dass selbst der letzte Teilnehmer sich aktiv Gedanken über das heutige Schulsystem machte. Waren die restlichen Sprecher wirklich gut, so muss man doch deutlich sagen, dass Terry Deary sie alle in den Schatten gestellt hat. Mit sechs Folien, die mehr einer Slideshow seiner Reihe entsprachen und zwei Filmausschnitten, die die Verfilmung seiner Bücher zeigten, schaffte er es, den Inhalt seiner Rede ohne inhaltlich wichtige Folien jedem verständlich zu machen und trotz Lachtränen, die einigen Teilnehmern in den Augen standen, die Ernsthaftigkeit seiner Botschaft zu verdeutlichen.
Den Abschluss der Konferenz bildete Sean Dromgoole von Games Vision, einer der größten Games-Entwickler weltweit. Er fasste den aktuellen Markt in erstaunliche Statistiken zusammen und leitete daraus ab, wie die Zukunft auf dem Markt aussehen könnte.
Insgesamt eine sehr gute Konferenz, die gut organisiert war und dafür sorgte, dass Industrie, Forschung und Lehrkräfte sich ein Stück näher kamen auf dem langen und sicherlich noch beschwerlichen Weg, der vor ihnen liegt. In einigen Punkten stimmten alle Vortragende überein: Entscheidend für den Einsatz von Games im Lernkontext ist die mögliche individuelle Unterstützung des Lernenden, sowie die Motivation, die damit einhergeht. Durch die Motivation sind die Lernenden mit mehr Spaß dabei und interessieren sich für die Themen, so dass ein lang anhaltender Lernerfolg ermöglicht wird.
Dem Einsatz von Games steht jedoch heutzutage immer noch einiges entgegen. So haben diese immer noch einen schlechten Ruf, so dass es konservativ eingestellten Lehrern und Eltern schwer fallen wird, diese einzusetzen oder den Einsatz zu billigen. Außerdem müssen Lehrkräfte mit der Situation umgehen können, dass die Schüler im Bereich der Games oftmals über mehr Wissen verfügen und "besser sind" als sie selbst.
Speziell in Deutschland gibt es eine weitere große Hürde: Für Grundschulen, in denen das spielende Lernen besonders große Bedeutung hat und sogar teils von den Lehrplänen vorgeschrieben wird, gibt es keine Gelder vom Staat für eine technische Ausstattung. Das bedeutet, dass es meist noch nicht einmal Computer gibt oder höchstens alte, ausrangierte und damit den Anforderungen aktueller Software nicht gerecht werdender Computer, die von Eltern gesponsert werden. Ein Unding, wenn man die heutige Bedeutung der Technik und vor allem den Umgang mit dem Computer in der Gesellschaft betrachtet.
Quellen und weitere Informationen:United States Secret Service, National Threat Assessment Center - Secret Service Safe School Initiative:
http://www.secretservice.gov/ntac_ssi.shtmlGame-Based-Learning 2009:
http://www.gamebasedlearning2009.comLearning Without Frontiers:
http://www.learningwithoutfrontiers.comLearning and Teaching Scotland:
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