BK: Jörg, ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Besuch bei dir. Es war später Herbst, du hast noch in Koblenz gewohnt, und wir waren viel draußen, auf einem Weinberg, bei einer Kapelle, bei einer Burg im Wald... Und immer wieder hast du mir erzählt, dass dieser oder jener Ort in einer deiner Erzählungen aufgetaucht ist. Wie wichtig sind dir Spaziergänge, Wanderungen und Urlaube für dein Schreiben?
JK: Unglaublich wichtig! Physische Reisen sind für mich auch immer psychische Reisen. Auf einer Wanderung gelange ich nicht nur von A nach B, sondern entferne mich gleichzeitig von bisherigen Standpunkten und Gewohnheiten. Dadurch gewinne ich mehr Distanz und Objektivität, was auch beim Schreiben recht nützlich sein kann, denn oftmals ergibt sich daraus ein Hinterfragen der subjektiv empfundenen Realität. Am Schreibtisch habe ich immer das Gefühl, mich zu wiederholen. Eine Wohnung hat etwas Statisches, das sich auf die Gedanken überträgt. Inspirationen finde ich nur, wenn ich das künstlich geschaffene Drinnen verlasse und mich nach Draußen begebe. Die Beobachtungen, die ich dort mache, fließen dann sehr oft in meine Geschichten ein.
BK: Die Erzählungen deines bei BLITZ neu erschienenen Buches Cosmogenesis drehen sich alle um Cathay, eine fiktive Stadt am Himalaya, von deutschen Siedlern gegründet und europäisch geprägt. Ich weiß nicht weshalb, aber ich assoziiere mit dem Namen der Stadt immer das antike Karthago. Was waren für dich die Wurzeln für Cathay?
JK: Ich glaube, jeder stellt sich beim Lesen des Buches unter Cathay etwas anderes vor. Das ist vielleicht die Stärke dieser Stadt. Hier kann jeder seinen eigenen Träumen und Alpträumen begegnen, ohne sie fürchten zu müssen. Ich kann nicht mehr genau sagen, in welcher Geschichte ich zum ersten Mal den Namen Cathay verwendet habe. Wahrscheinlich war es die Titelgeschichte Cosmogenesis. Oder die schon recht früh entstandene Erzählung Der den Sturm Sät, in der sich die Atmosphäre der Stadt wohl am deutlichsten manifestiert. Die Umgebung Cathays entspricht in vielen Einzelheiten den Orten, die wir beide damals zusammen besucht haben, dem Moseltal, dem Maifeld, dem Hunsrück. Es hat mich immer aufs Neue fasziniert, dass ich mich nur wenige Schritte von den ausgetretenen Pfaden und viel befahrenen Straßen entfernen muss, um in eine vergessene, fast unberührt scheinende Welt hinüber zu gelangen. Das sagt ja auch der Anfang von Graceland aus: "Unweit der Städte liegen sie, verschwiegen und von uns vergessen, die Orte, die uns an unsere Kindheit erinnern, wo die Zeit stehen geblieben ist. (...) Ich liebte es, diese Orte aufzusuchen und unter dem goldenen Laub der Herbstwälder oder im kniehohen, sandfarbenen Gras nach den verfallenen Mauern und Grenzsteinen unserer Ahnen zu suchen. (
) Meine Wanderungen führten mich über die regendurchweichten Feldwege der nächsten und näheren Umgebung, und ich genoss sie am meisten, wenn mir ein steifer Wind um die Ohren blies und alle trüben Gedanken vertrieb. Dann blieben nur die ursprünglichen, die kosmischen Wahrheiten zurück, und ich fühlte mich eins mit der Natur, deren Teil ich also wieder geworden war.".
Cathay selbst hat viele Vorbilder. Spontan fallen mir Prag, Köln und Venedig ein; Städte, die in meinem Leben eine wichtige Rolle gespielt haben.
BK: So wie du diese vergessenen Orte beschreibst, musst du sie lieben, die Orte und deine Spaziergänge und Reisen; und doch wirkt Cathay von Anfang an dunkel, dem Untergang geweiht, dekadent. Ist das der Gegensatz zwischen Natur und Stadt oder was hast du gegen die "Städte, die in deinem Leben eine wichtige Rolle gespielt haben"?
JK: Eine Stadt ist für mich auch nichts anderes als eine Wildnis, aber ich muss gestehen, dass ich mich nicht lange in großen Städten aufhalten, geschweige mir denn ein Leben dort vorstellen kann. Ich mag die Spannung zwischen beiden Szenarien, und die Grenzen, an denen sie aufeinander stoßen bzw. miteinander verschmelzen, rätselhafte Zwischenwelten, an denen sich der Übergang von einem zum anderen vollzieht. Und ich mag Reisen in das eine oder das andere Extrem, wobei eine Reise in die Stadt genauso inspirierend sein kann, wie eine einsame Wanderung. Das trifft vor allem auf Städte zu, in denen eine gewisse Dekadenz greifbar ist. ich empfinde das nicht als unangenehm. Nicht, so lange ich mich jederzeit wieder zurückziehen kann.
BK: Welche Stadt hast du als dekadent und nicht unangenehm empfunden?
JK: Na, Venedig ist doch da das beste Beispiel! Das Wissen, dass die Stadt zum unaufhaltsamen Untergang verurteilt ist, gibt dem Besucher ein vollkommen anderes Bewusstsein. Er empfindet die Stadt als unwirklich und phantastisch. Trotzdem gehen die Menschen, die dort leben, ganz normal ihren alltäglichen Beschäftigungen nach. Die Stadt ist auf eine zauberhafte Weise dekadent.
BK: In Cathay sind nicht nur verschiedene Orte verschmolzen, sondern auch verschiedene Zeiten. Es gibt selten genauere Zeitangaben als "nach dem Krieg". Fin-de-siècle-Stimmung trifft auf moderne Endzeit, es gibt Straßenbahnen, Schiffe und einen Elefanten als Fortbewegungsmittel. Es treffen griechische Sagen auf christliche Mystik und den europäischen Siedler unverständliches Schamanentum. Was außer deinen Reisen hat noch zum Stadtbild beigetragen, was dich beeinflusst?
JK: Oh, ich schnappe hier und da etwas auf; manchmal aus der Zeitung oder aus einem Gespräch. Die einzige nennenswerte relevante Beeinflussung in Bezug auf Cosmogenesis findet sich in den theosophischen Büchern der H. P. Blavatsky, die um diese Zeit herum durch eine Erbschaft in meine Hände fielen. Prägend war aber weniger deren Inhalt als die Tatsache, wie ich an sie gelangte.
BK: In deinen Erzählungen wird oft Essen zubereitet oder gegessen. Kochst du gerne, oder woher kommt das?
JK: Ich versuche immer, in meinen Geschichten alle möglichen Sinne anzusprechen und Erinnerungen wachzurufen. Der Geschmackssinn wird von Autoren oft unterschätzt oder vernachlässigt. Vielleicht liegt es daran, dass der moderne Europäer sich sehr wenige Gedanken über die Herkunft und Entstehung seiner Nahrung macht. Wer sicher aber dafür interessiert, wird feststellen, dass manche (gute) Nahrungsmittel eine eigene Geschichte erzählen; ein Bier, das in einer abgelegenen Trappistenabtei gebraut wird, ein seltenes Gewürz, das nur an einem einzigen Ort wächst, ein Käse, der unter ganz bestimmten Bedingungen reift. Ich finde das unheimlich spannend. Ich esse und ich koche gerne. Aber keine großen Mengen. Ich genieße. Der Vorgang der Nahrungszubereitung hat für mich etwas ähnlich Kontemplatives wie eine Wanderung. Eine Mikrowellenpizza allerdings hat in etwa den geistigen Nährwert einer Autobahnfahrt bei 200 km/h. Wenn du aber auch hier von den ausgetretenen Pfaden abweichst, wartet so manche Entdeckung auf dich.
BK: Welche kulinarische Entdeckung hast du zuletzt gemacht?
JK: Hm, wenn ich mich richtig erinnere, war es eine Wiederentdeckung, eine Erbsensuppe aus dem Kloster Mariawald in der Eifel; nach Einschätzung vieler Experten die beste der Welt. Als Kind habe ich sie ziemlich oft löffeln müssen, und endlich gibt es sie in Dosen. Klasse!
BK: Dann also guten Appetit! An was ich mich ebenso gut erinnere von meinem Besuch in Koblenz, das sind die Autofahrten nahe des Hochwassers, während deren wir die aktuellen im Entstehen begriffenen Aufnahmen zu dem Album Cosmogenesis gehört haben. Musik, Literatur und Bilder gehen bei dir oft Hand in Hand. Wie stark ist die Musik des The House Of Usher-Albums mit deinem Buch verknüpft, wie stark die Songtexte mit den Erzählungen?
JK: In diesem Fall ist die Verbindung sehr stark. In den vielleicht zwei Jahren, in denen Cosmogenesis entstanden ist, habe ich fast ausschließlich für dieses Album und das Buch gelebt. Cosmogenesis war der Kosmos, in dem ich mich damals bewegt habe. Da ließ es sich nicht vermeiden, dass beides miteinander verschmolz, und das ist auch durchaus so gewollt, deshalb tragen beide denselben Titel, und es gibt eine Reihe von Geschichten und Musikstücken, die dieselben Namen tragen und zwei Seiten einer einzigen Sache sind.
BK: Weißt du bei einer Idee immer sofort, ob daraus eine Erzählung oder ein Song wird? Oder gar eine Zeichnung? Oder in dem Fall: Welche Seite der Sache zu Prosa, welche zu Musik werden wird?
JK: Es ist zwar etwas unromantisch, das zu gestehen, aber da ich meine Zeit ziemlich gut organisieren muss, geschieht das teilweise nach Bedarf. Es gibt Phasen, in denen ich sehr konzentriert an meinen Songtexten arbeite und alle Ideen in das Konzept eines Albums inklusive Zeichnungen, Texten und Musik einfließen. Und dann gibt es wieder Phasen, in denen ich mich ausschließlich mit einem Buchprojekt befasse. Aber oft laufen auch mehrere Projekte nebeneinander, und ich muss darauf achten, dass ich noch differenziere. Ich glaube, dass mein Unterbewusstsein das alles irgendwie sortiert und manche Ideen darin mitunter jahrelang brachliegen, bis sie irgendwann wieder brauchbar werden.
BK: Wie stark beeinflusst Musik von anderen dein Schreiben? Oder trennst du konsequent zwischen den Künsten?
JK: Hm, ich werde wohl eher unbewusst von Musik beeinflusst und brauche beim Schreiben inzwischen möglichst absolute Ruhe. Das große Übel unserer Tage ist ja, dass wir von allen Seiten Ablenkung erfahren. Die meisten Menschen genießen das scheinbar und sorgen durch ständige TV-/Musikberieselung und ständige Erreichbarkeit (Mobiltelefone, Internet) dafür, dass sie kaum noch einen klaren Gedanken fassen können. Musik beim Schreiben? Tödlich! Fernseher? Besitze ich gar nicht.
BK: Eine beliebte Frage an einen Autor ist die, wie viel von ihm in den Protagonisten seiner Bücher steckt. Ich wollte sie eigentlich vermeiden, doch nach der Lektüre der kurzen Erzählung Der Equinox muss ich ja fast, wenn auch über Umwege fragen: Wie viel von dir steckt also in dem schreibenden Mann, den Richard Ernst hinter einem Fenster sieht, und der "sein Bruder sein könnte". Und wenn Bruder, wie viel von dir steckt dann in Richard Ernst? Oder bin ich hier völlig auf dem Holzweg.
JK: Nee, damit hast du eigentlich schon den Kern des Ganzen getroffen. Ernst ist, ohne es zu wissen, Bewohner seines eigenen Gedankenkonstrukts, das nur dadurch Wirklichkeit wird, dass er von seiner Echtheit überzeugt ist. Als ihm dies (in Die Kosmographie) bewusst wird ("So soll es also enden. Dies ist die Wahrheit. Cathay hat niemals existiert und wird niemals existieren."), bedeutet das den Untergang der Stadt. Ihm bleibt nur die Flucht.
In Der Equinox begegnet Ernst seinem Schöpfer und Spiegelbild, und es erfüllt ihn mit Zorn, dass er unfähig ist, sein Schicksal zu verändern. Ich glaube, den meisten von uns geht es ähnlich. Wir wissen, dass wir im Grunde genommen unser eigenes Schicksal in die Hand nehmen könnten, und gleichzeitig schrecken wir davor zurück, weil wir die Verantwortung scheuen. Wie viel einfacher ist es doch, unser Versagen einer höheren Macht zuzuschreiben. Ich kann mich davon nicht freisprechen.
Ja, wenn es in Cosmogenesis jemanden gibt, den ich als Identifikationsfigur heranziehen würde, dann wäre es Richard Ernst.
BK: Etwas, was bei deinen Geschichten angenehm auffällt, ist der symbolische Gehalt, der Wille, etwas auszusagen, aber nicht in platten Parolen. So beispielsweise in Hegemonie, der Erzählung aus der gleichnamigen Split-Single von The House of Usher mit Fallen Apart. Phantastik ist bei dir kein Eskapismus, die Geschichte und eine Aussage scheint dir wichtiger als Horror-Unterhaltung nach Schema F. Würdest du dich als Autor mit politischem Bewusstsein sehen?
JK: Ich weiß nicht, ob ich es politisch' nennen soll. Ich bin vielleicht mit der Bezeichnung gesellschafts- oder kulturkritisch' etwas glücklicher. Mich interessiert weder Links noch Rechts sonderlich, aber ich beobachte die Entwicklungen in der Gesellschaft ziemlich aufmerksam und kann nicht anders, als immer wieder Schlüsse aus diesen Beobachtungen in meine Geschichten einfließen zu lassen, die dann zu einer Art Parabel werden. Diese Tendenz hat sich in den letzten Jahren, in denen ich immer weniger aber dafür umso konzentrierter geschrieben, noch verstärkt und findet in der von Dir erwähnten Geschichte sowie in einer Erzählung zum nächsten The House of Usher-Album Radio Cornwall ihren vorläufigen Höhepunkt. Reine Horror-Unterhaltung reizt mich auch als Leser wenig. Erst wenn ich in einer Geschichte eine gewisse Tiefe und emotionale Verbindung zum Autor ausmachen kann, kann sie mich wirklich begeistern.
BK: Welche Autoren können dich begeistern, bzw. welche Bücher konnten das?
JK: Am meisten beeindruckt haben mich Mervyn Peakes Gormenghast-Trilogie und Josef Nyarýs Das Haupt des Täufers. Von Umberto Eco favorisiere ich Das Foucaltsche Pendel gegenüber Der Name der Rose. Poe und Lovecraft, Blackwood, C. A. Smith, Hodgson und M. R. James schätze ich ebenfalls sehr, aber es ist lange her, dass ich etwas von Poe gelesen habe.
BK: Immer wieder arbeitest du mit anderen Autoren zusammen, in Cosmogenesis mit Arnold Reisner. Wenn du die freie Wahl hättest, tote und fremdsprachige Autoren eingeschlossen, mit welchen drei Autoren würdest du zusammen an Cathay weiterbasteln wollen?
JK: Im Grunde genommen muss es keine Fortsetzung der Geschichten um Cathay geben. Als ich die Sammlung für den BLITZ-Verlag überarbeitet habe, habe ich darauf geachtet, dass sie vollständig und in sich abgeschlossen ist. Na ja, aber trotzdem zieht es mich manchmal doch noch nach Cathay. Mir fallen zwar jetzt auf Anhieb keine drei Autoren ein, mit denen ich das Cathay-Motiv überstrapazieren möchte, aber es gibt da eine wunderbare Geschichte mit dem Titel Kein Gott auf Erden, die in Zusammenarbeit mit Heiko Haas entstanden ist und als Fortsetzungsroman im The House of Usher-Newsletter Nekrolog erscheint.
(Textauszug siehe unten)
BK: Du hast früher vieles in deinem eigenen Kleinverlag Goblin Press veröffentlicht, und die Bücher dort sehr stimmungsvoll selbst illustriert. In Cosmogenesis finden sich nun Fotos, für die sich sowohl du als auch Mark Freier, der Covergestalter der ganzen Buchreihe, verantwortlich zeichnen. Wie sind diese bizarren Gesichter entstanden?
JK: Ich habe sie an der französischen Kanalküste bei St-Malo fotografiert. Über hundert dieser Gesichter sind dort in den Fels gemeißelt, es ist ein faszinierender Ort. Mark Freier hat den Fotografien durch seine Bearbeitung allerdings noch eine weitere Dimension gegeben, die sie vorher nicht hatten. Sie wirken noch düsterer, verwitterter, irgendwie schuppig, und sie verkörpern den Geist von Cathay viel besser, als das Illustrationen vermocht hätten, die sich direkt auf den Text beziehen.
BK: Das Buch erscheint unter deinem Namen Jörg Kleudgen, andere Geschichten unter Jörg Bartscher-Kleudgen. Ist das eine bewusste Trennung oder Zufall?
JK: Dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: die Erstausgabe von Cosmogenesis ist 1999 vor meiner Heirat erschienen. Es ist weder bewusst, noch ein Zufall, aber ich habe mich jetzt darauf festgelegt, Texte, die ich eventuell in Zukunft für den BLITZ-Verlag schreibe, ebenfalls unter diesem Namen zu veröffentlichen.
BK: Das klingt, als würdest du dich bei BLITZ wohlfühlen. Wie war die Zusammenarbeit mit Lektorat und Redakteur der Buchreihe?
JK: Die Zusammenarbeit verlief vollkommen reibungslos. Ich hatte das Gefühl, wenn ich ein Problem oder einen Wunsch hatte, ging man beim Verlag umgehend darauf ein, und mehr noch. Die Zusammenarbeit ging intuitiv in dieselbe Richtung. Ich musste keine Kompromisse eingehen, keine kreativen Zugeständnisse machen, obwohl das Konzept des Buches nicht unbedingt trivial oder leicht konsumierbar war. Von Verlagsseite aus war das schon sehr mutig, aber ich glaube, das Ergebnis hat den Mut und die Ausdauer, die von dieser Seite aufgebracht wurden, belohnt. Das Gleiche gilt auch für das Lektorat. Ich finde, es ist immer ein gutes Zeichen, wenn man gar nicht das Gefühl hat, es erfolge eine Betreuung oder Steuerung. Ich habe mich mit Alisha Bionda ganz locker über einige wenige Details unterhalten, und wir haben das Beste für das Buch daraus gemacht. So sollte es meiner Meinung nach auch sein. Wenn der Verlag ein anderes Buch will, muss er sich einen anderen Autor suchen. Es hat keinen Sinn, einen bereits bestehenden Text zu verbiegen, bis er schließlich passt. Der Aufwand ist viel zu groß, und weder Autor, noch Verlag oder Leser werden wahrscheinlich letztendlich zufrieden sein.
BK: Und hast du schon konkrete Pläne für nächste Bücher? Oder für eine weitere Neuauflage, beispielsweise deinem schönen Venedig-Roman Der Nachtmahr?
JK: Oh je, der müsste ja gründlich überarbeitet werden. Eigentlich sind es zwei Romane. Die könnte man schön zusammenfassen. Aber, nein, dahingehend habe ich keine Pläne. Trotzdem rumort es im Moment ganz schön. Infolge der erfolgreichen Zusammenarbeit bei Cosmogenesis hat sich ein gemeinsames Projekt mit Alisha Bionda ergeben. Wir schreiben zusammen den vierten Band der Serie Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, und das Exposé, das wir zurzeit erarbeiten, lässt einen äußerst spannenden, düsteren und temporeichen Roman um die Vampirin Dilara erwarten. Das Projekt ist eine echte Herausforderung mit dem Anspruch, vor allem Band 2 und Band 3 (Band 1 war ja eine Anthologie) zu übertreffen, und die haben die Meßlatte ziemlich hoch gelegt. Ich schätze, wir werden uns mit weniger nicht zufrieden geben!
BK: Ein solcher Ausblick ist ein schönes Schlusswort. Dann also frohes Schreiben und vielen Dank für deine Zeit zu diesem Interview.
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aus: Kein Gott auf Erden, Jörg Kleudgen & Heiko Haas:
"UNMITTELBAR nach meinem Erwachen am nächsten Morgen hatte ich das Gefühl, als habe sich etwas Grundlegendes in Ozalith verändert. Es war ein Wechsel in der Atmosphäre des Hauses, das mir bis dahin immer schwermütig erschienen war, jedoch nie so... finster. Oder lag es nur daran, dass draußen, vor den hohen Fenstern ein furchtbarer Sturm tobte, wie an keinem Tag vorher seit meiner Ankunft? Mit einem furchtbar schneidenden Kreischen kratzten die Zweige der Rosenbüsche an meinem Fenster, die Weiden am Teich wurden von unsichtbarer Hand geschüttelt, und die alten Erlen hernieder gedrückt, dass ihre Kronen beinahe den Boden berührten. Drosseln und Raben warf der Wind umher wie mürbes Laub, und am fernen Horizont bauschten sich gigantische Wolkenburgen auf. (
) Auch zog die veränderte Stimmung bald allerlei seltsames Getier in die Nähe des Hauses. Eines Morgens fand ich am Ufer des Teiches die beiden schwarzen Schwäne mit furchtbar zerfetzter Kehle liegen. Es dauerte nur wenige Tage bis statt ihrer zwei Kormorane mit tückischen Augen und ölig glänzendem Gefieder auf dem Gewässer ihr Zuhause fanden. Große Hunde mit schwarzem Fell näherten sich dem Anwesen, und ich beobachtete, wie Zaal sie mit rohem Fleisch aus den Küchenabfällen fütterte, so dass sie bald halb zahm waren und ständig um das Haus herum streiften. Mit Hereinbrechen der Dämmerung mischte sich ein traurig lockender Vogelgesang, ähnlich dem von Nachtigallen, unter den unermüdlich tobenden Sturm, und wenn es einmal besonders ruhig im Haus war, glaubte ich das Rascheln von Nagetieren in Wandtäfelungen und Holzbalkendecken zu vernehmen (
)."
Mit freundlicher Genehmigung des BLITZ-Verlages.