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Erfolgsreihe "Länder hören"
Interview mit Corinna Hesse
Media-Mania.de: Guten Tag Frau Hesse,
Sie haben gerade einen Preis für die Länder-Reihe Ihres Verlages [Silberfuchs Verlag] gewonnen. Wie kamen Sie überhaupt dazu, diesen Verlag zu gründen?


Corinna Hesse: Meine Geschäftspartnerin Antje Hinz und ich haben den Verlag zusammen gegründet. Wir kommen beide aus dem Rundfunk und haben uns dort auch kennen gelernt. Wir haben für verschiedene ARD-Anstalten gearbeitet und da haben wir oft - gerade bei anspruchsvolleren Sendungen, Features und so weiter - Höreranfragen, ob es nicht einen Mitschnitt der Sendungen gäbe. Bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist das allerdings sehr schwer. Daher haben wir uns überlegt, dass wir eigentlich selbst solche Mitschnitte anlegen müssten. Dass man eben nicht nur ein Feature für einmal Senden macht, das dann im Archiv verschwindet und nie wieder auftaucht, sondern als Hörbuch etwas Physisches in der Hand hat, was eben auch längere Zeit präsent bleibt.

Media-Mania.de: Wie sind Sie auf die Idee der Länder-Reihe gekommen?

Corinna Hesse: Wir kommen ja aus dem Kulturbereich und haben uns überlegt, wie wir Kultur so darstellen können, dass sie von einem breiteren Publikum verstanden wird. Es ist ja gerade in Deutschland so, dass es viele Einzelpublikationen zu einzelnen Künstlern oder Epochen gibt, aber solche Zusammenfassungen eines Landes fanden wir besonders interessant. Wie hat sich ein Land entwickelt? Wie ist es entstanden? Durch welche Faktoren wurde es geprägt? Was kommt da alles zusammen? Nicht nur künstlerischer Art, sondern auch wirtschaftlicher Art oder Naturgegebenheiten - was prägt dieses Land und welche Kultur entsteht dadurch? Das fanden wir eben besonders spannend und haben daraus die Idee der Länder-Reihe entwickelt. Das erste Hörbuch haben wir zusammen mit dem Schleswig-Holstein-Musik-Festival gemacht, mit dem wir immer noch zusammen arbeiten. Das ist ein Festival, das immer einen Länder-Schwerpunkt hat. Anstatt beispielsweise nur japanische Musik in einem Konzert zu hören, die sie nicht wirklich einordnen können, wäre es doch schön, den Besuchern mit einem Hörbuch ein Medium an die Hand zu geben, durch das sie Hintergrundwissen bekommen, um das Land besser einordnen und letztlich dadurch auch mehr aus dem Konzert mitnehmen zu können, da sie bewusster hören.

Media-Mania.de: Möchten Sie in erster Linie Wissen vermitteln - oder Ihre Hörer doch eher unterhalten? Wie ist dabei Ihre Gewichtung?

Corinna Hesse: Ich glaube, das eine schließt das andere nicht aus. Wir möchten natürlich von unserem Anspruch her etwas vermitteln. Wir möchten Kultur vermitteln, da wir der Meinung sind, dass Kultur heute immer noch gerade in Deutschland das Image hat, das sei ja nur etwas für eine kleine Elite. Das denken wir nicht. Wir wollen zeigen, dass Kultur etwas mit dem wirklichen Leben zu tun hat, dass alle Künstler natürlich in irgendeinem Kontext gearbeitet haben. In Zusammenhängen, die wirklich mit dem Alltagsleben und Gefühlen zu tun haben - mit zwischenmenschlichen Sachen. Dass natürlich Kultur, z. B. Sprache oder wie man miteinander umgeht, wie man arbeitet, was man isst, usw. - alles Alltagsdinge sind, und das ist alles kulturell geprägt. Wenn man das mal vergleicht, ein Land wie Japan mit einem Land wie Niederlande, das sind ja Welten, die dazwischen liegen, und die sind tatsächlich zurückzuführen auf eine ganz lange Kulturgeschichte; das möchten wir eben zeigen. Dass Kultur nicht etwas Abgehobenes ist, sondern wirklich verständlich gemacht werden kann für alle.

Media-Mania.de: Sie haben jetzt Japan und Niederlande erwähnt. Mit "Länder hören" sind die Hörer unter anderem noch nach Frankreich gereist, nach Russland, Israel und in die Türkei. Warum haben Sie das nahe Liegende, nämlich Deutschland, erst relativ spät als Hörbuchproduktion aufgegriffen?

Corinna Hesse: Unser Interesse galt natürlich erst einmal der Entdeckung anderer Länder, weil wir glauben, jetzt - in dieser multikulturell geprägten Welt, in der die Kontinente immer mehr zusammenwachsen - ist es wichtig, ein multikulturelles Verständnis im globalen Kontext ebenso wie mehr Toleranz anderen Kulturen gegenüber zu entwickeln. Daher wollten wir anfangs auch kulturelle Unterschiede zeigen. Dazu kommt ein ganz praktischer Grund, das Deutschland-Hörbuch jetzt zu machen: In diesem Jahr ist das zwanzigjährige Jubiläum des Mauerfalls, das heißt, das Thema Deutschland ist nach wie vor gerade hierzulande wirklich hoch diskutiert. Wir haben das ja alle erlebt bei Fußball-WM und so weiter, als dann plötzlich die ganzen Deutschland-Flaggen da waren. Ich glaube, die Deutschen sind derzeit tatsächlich auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Wir möchten zeigen, dass Kultur dafür ganz wichtig gewesen ist. Traditionell könnte man von dem Land der Dichter und Denker sprechen, aber aktuell wird immer gesagt, dass aus Deutschland besonders viele technische Erfindungen kommen. Deutschland sei das Land der Maschinenbauer und der Naturwissenschaften. Das wird in den Vordergrund gestellt. Die Kreativität in diesen und anderen Bereichen entsteht aber immer nur auf einer gewissen Folie und diese Folie ist unseres Erachtens nach kulturell geprägt. Kreatives Denken, ein Erfindergeist, kann sich nur in einem Land entwickeln, das Kreativität schätzt. Das hat in Deutschland eine sehr lange Tradition. Kreativität und Kunst, das Denken an sich ist wichtig und dann erst schaut man, was macht man damit, was kann man erfinden, wie kann ich das technisch oder naturwissenschaftlich nutzen.

Media-Mania.de: Wen möchten Sie mit Ihren Hörbüchern ansprechen?

Corinna Hesse: Ein möglichst breites Publikum. Wir arbeiten viel mit Kulturfestivals zusammen. Das sind dann klassische Konzertbesucher, die mehr Hintergrundwissen haben möchten. Wir haben aber auch tolle Rückmeldungen von Jugendlichen, die sagen: "In dieser kurzen, knappen Form, habe ich noch ein Land so entdecken können. Ich habe jetzt viel mitgenommen und kann nun besser verstehen, warum sich beispielsweise ein Japaner bei einem Treffen ganz anders verhält als ein Europäer."
Wir haben wirklich Rückmeldungen aus sehr vielen Zielgruppen erhalten. Das finden wir natürlich toll. Wir versuchen die Sprache so zu halten, dass es kein wissenschaftlicher Jargon ist, sondern die Sprache leicht und allgemein verständlich ist. So soll es nicht gespickt sein mit Fremdwörtern und Fachtermini, was nur für einen bestimmten Kreis verständlich ist, sondern wirklich von einem durchschnittlichen Hörer verstanden wird.

Media-Mania.de: Wenn Sie nun beschließen, ein Land vorzustellen: Wie läuft dann die Produktion ab? Was muss geplant werden? Was wird in Auftrag gegeben? Wie erfolgt die Auswahl der Künstler, die in dem Hörbuch vorgestellt werden?

Corinna Hesse: Die Auswahl der Künstler ist natürlich eine der schwierigsten Aufgaben, abhängig von der Größe des Landes und der Kulturgeschichte. Nimmt man als Beispiel das aktuelle Hörbuch Deutschland: Es beginnt in der Bronzezeit mit der Himmelsscheibe von Nebra. Somit muss ein Zeitraum von insgesamt 4000 Jahren auf 80 Minuten komprimiert werden. Das ist für uns die große Herausforderung. Dann suchen wir nach Künstlern, Literaten, Musikern und Philosphen von denen wir sagen, dass sie die kulturelle Identität eines Landes entscheidend geprägt haben. Beim Beispiel Deutschland bleibend, nehmen wir das Nibelungenlied. Eine mittelalterliche Sage, die letztlich sogar auf die germanische Kultur zurückgeht und immer wieder aufgetaucht ist, beispielsweise bei Wagner. Das ist eine bestimmte Geschichte, die irgendwas entwickelt hat, was für dieses Land steht. Oder nehmen wir Goethes Faust. Der Faust ist auch eine solche Figur, die sich in unterschiedlichen Epochen wiederfindet und etwas typisch Deutsches hat. Wir wollen etwas auswählen, das durch diese repräsentativen Künstler, Kunstwerke oder Figuren wie Faust zum Beispiel wie ein Gesamtmosaik entsteht, so dass man einen Gesamtüberblick über dieses Land erhält. Wo liegen die bestimmten Prägungen? Was ist da wichtig gewesen in der Geschichte? Was hat das für eine Identität zu sagen?

Media-Mania.de: Teilen Sie auch privat die Leidenschaft für Reisen und für klassische Musik?

Corinna Hesse: Ja. Wir kommen ja beide aus dem Bereich der Kulturwissenschaften. Wir haben bereits zusammen Musikwissenschaften studiert - auch Germanistik und Kunstgeschichte. Die Begeisterung für Kultur teilen wir auf jeden Fall. Dann gibt es natürlich auch Geschmacksunterschiede, welches Land einem besonders liegt. wobei ich immer sagen muss, wenn man erst einmal in ein Land einsteigt - selbst wenn es solch ein Land ist, von dem man vorher fast gar nichts wusste und vielleicht noch nicht einmal hingereist ist -, stellt sich dann eben doch heraus, dass vielleicht gerade dieser Blick aus der Distanz Sachen herausfiltern kann, die besonders spannend sind. Ich glaube, je spannender die Entdeckungen sind, die man als Autor selbst macht, umso spannender wird es auch für den Hörer. Gerade solche Spezialisten, die sagen: "Ich interessiere mich jetzt nur für dieses eine Land", die können oft die Begeisterung, die sie dafür haben, nicht so gut vermitteln. Sie können den Blick, den andere auf das Land haben, nicht mehr nachvollziehen. Für die Spezialisten sind es nur noch kleine Details, die spannend sind, aber einen großen, pauschalen Bogen zu machen, fällt ihnen meist schwer. Unser Vorteil ist es dagegen, dass wir es als Rundfunkautorinnen gewohnt sind zu recherchieren. Zusätzlich ziehen wir Spezialisten bei inhaltlichen Fragen zu Rate. So lassen wir die Manuskripte nochmals gegenlesen und beurteilen und holen uns Tipps. Gerade bei asiatischen Ländern ist es schwer, die richtige Musik zu finden, da es aus allen - auch sehr frühen - Epochen kaum noch Musik gibt. Das war bei Deutschland übrigens auch nicht so einfach. Zum Beispiel gibt es keine Einspielungen mit germanischen Musikinstrumenten. Da mussten wir ein Ensemble rekrutieren, das mit Wissenschaftlern zusammen die alten Instrumente rekonstruiert und damit dann die Musik eingespielt hat. Also das machen wir dann eben oft mit Spezialisten und suchen uns Rat.

Media-Mania.de: Sie haben eben an der Podiumsdiskussion "Qualität um jeden Preis im Hörmedienbereich?" des Hörbuch-Forums teilgenommen. Angeknüpft daran natürlich die Frage, ob das eben Genannte der Grund für die höheren Preise Ihrer Titel sind?

Corinna Hesse: Ja. Auf jeden Fall ist der betriebene Aufwand groß. Einerseits die Vorbereitung. Das Manuskript wird für dieses Hörbuch direkt geschrieben. Bei den meisten Hörbüchern ist es so, dass Lizenzen aufgekauft werden, so dass die gesamte inhaltliche Vorbereitung eigentlich bereits ein Buchverlag gemacht hat. Ein Hörbuchverlag muss dann nur noch auswählen und eventuell Kürzungen vornehmen. Aber bei uns ist ein großer Vorlauf. Andererseits ist die Produktion aufwendig. Wir arbeiten mit sehr vielen Musikbeispielen - ungefähr fünfzig Musikbeispiele aus allen Epochen pro CD. Dafür müssen wir die Lizenzen bei Plattenlabels einkaufen. Das sind teils nur 15 Sekunden Musikausschnitt, aber jede Musik muss eben bezahlt werden. Das heißt, wenn man also ein vielgestaltiges Bild eines Landes wiedergeben möchte, ist das sehr aufwendig und teuer. So kommt der Preis zustande.

Media-Mania.de: Welche Projekte werden den Hörer in Zukunft bei Ihnen erwarten, in welche Länder wird er akustisch reisen?

Corinna Hesse: Unsere geplanten Produktionen für dieses Jahr in der Länderreihe sind Griechenland und Indien. Dann wollen wir noch ein Erfinderhörbuch machen, da es uns um Kreativität geht und wir zeigen möchten, wie diese entsteht. Wie ich eben schon sagte, hat dies natürlich auch mit einem kulturellen Hintergrund zu tun. Also aus welchen kulturellen Umgebungen kommen kreative Menschen überhaupt hervor? Unsere Komponisten-Reihe wird dieses Jahr fortgesetzt mit Händel. Im Herbst haben wir noch eine Veröffentlichung, die für Norddeutschland sehr interessant ist, und zwar über die Kulturgeschichte der Hanse. Wir haben ja auch schon ein Hörbuch gemacht über den Komponisten Diedrich Buxtehude, der in Lübeck ansässig war, und Lübeck war ja das Haupt der Hanse. Wir fanden es spannend zu sehen, wie der Ostseeraum bereits so früh einen Länder übergreifenden Verbund gegründet hat, der der heutigen europäischen Union verwandt ist. Diese Art der europäischen Gemeinschaft ist eine alte Idee. So kann man an dem Hanseverbund auch sehr schön zeigen, wie dann auch kulturelle Verwandtschaften entstehen.

Media-Mania.de: In der vorherigen Diskussion wurde bereits darauf eingegangen, dass Sachhörbücher derzeit nicht so ernst genommen werden wie das Wissen in Buchform. Wie, denken Sie, sieht die Zukunft des Sachhörbuches aus?

Corinna Hesse: Also, ich glaube der Sachhörbuchmarkt wächst ganz entscheidend. Er ist jetzt noch unterrepräsentiert, aber ich glaube, dass sich Sachthemen über das Hören anders erschließen als über das Lesen. Wenn man kein Spezialist ist und weniger Vorbildung mitbringt beispielsweise, kann man sich bei einem Buch viele Dinge nicht vorstellen. Mit Hilfe einer Beschreibung von Musik kann sich ein Laie nicht vorstellen, wie die Musik tatsächlich klingt. Das kann ein Musiker, aber ein Laie kann nur durch das Lesen eines Textes keine innere Vorstellung entwickeln. Ich glaube, über das Hören - eine Stimme, die mir persönlich etwas erzählt, wenn es ein guter Sprecher ist, der wirklich in das involviert ist, was er wiedergibt - transportiert sich Wissen viel einfacher und emotionaler und dabei weniger anstrengend. Es macht Spaß, das zu hören. Es ist nicht so, dass man dann denkt: "O Gott, nun muss ich einen riesigen Wälzer lesen, um das irgendwie verstehen zu können". Wenn man mit Spaß an die Sache geht, kann man sich auch für Themen interessieren, bei denen man vorher dachte, dass man diese nicht kennt und damit nichts anfangen kann. Ich glaube, dass man wirklich Menschen auf solche Themen neugierig machen kann, von denen sie vorher nicht viel wussten.

Media-Mania.de: Vielen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben. Ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg mit Ihrem Verlag und Ihrer Länder-Reihe!
Geführt von Vera Schott am 15.10.2008