Die mittlerweile berühmten Kinsey-Reporte sorgten bei ihrem Erscheinen 1948 und 1953 für ungeheures Aufsehen. Die prüde Gesellschaft wollte nicht wahrhaben, was der Sexualforscher Alfred Kinsey in aufwändigen Interviews mit über 20.000 Amerikanerinnen und Amerikanern über das "Sexualverhalten des Mannes" (beziehungsweise der Frau) herausgefunden hatte.
In Kinseys Tradition sah sich mehr als 50 Jahre später der renommierte Psychoanalytiker Brett Kahr, als er sich einem ähnlich aufwändigen und sehr ehrgeizigen Projektes widmete. Das Thema, das ihn interessierte, ist sicher als eines der letzten Tabuthemen im Bereich der Sexualität anzusehen. Kahr befragte rund 19.000 Britinnen und Briten in Interviews und anonymen Fragebögen zu ihren geheimsten sexuellen Fantasien.

Vor allem diese beeindruckende Datenmenge ist es, was Kahrs "British Sexual Fantasy Research Project" von anderen Studien zu diesem Thema unterscheidet. So ist mit Recht anzunehmen, dass die von ihm gefundenen Ergebnisse tatsächlich die Sachlage in der britischen Allgemeinbevölkerung widerspiegeln. Vor allem aber ist bemerkenswert, dass Brett Kahr das breite Spektrum der geheimsten Fantasien der Briten mit seinem Buch "Sex im Kopf" einem breiten Publikum zugänglich machte.

In seinem Buch berichtet Kahr umfassend von den Ergebnissen dieser mit Abstand größten Studie zu sexuellen Fantasien und geht einer Reihe drängender Fragen nach: Was ist eine sexuelle Fantasie? Welchem Zweck dienen solche Fantasien? Sollen wir mit unserem Partner oder unserer Partnerin über unsere Fantasien sprechen? Steuern wir unsere Fantasien, oder werden wir von ihnen gesteuert?

Zu Beginn des Buches geht Kahr ausführlich auf die von ihm erfragten Fantasien ein. Aufgeteilt nach verschiedenen Themen wie Gruppensex, Sex mit Prominenten, Fetischismus oder Erniedrigung werden zahlreiche Fantasien wortwörtlich wiedergegeben, so wie sie von ihren Urhebern niedergeschrieben oder erzählt worden sind. Diese Schilderungen reichen von zwei oder drei Wörtern wie "Sex mit Madonna" zu detailreichen Schilderungen raffinierter sexueller Szenarien. Dieser einen Großteil des Buches einnehmende Bereich befriedigt sicher auch den neugierigsten Leser und wird bei den meisten Lesern eine ganze Palette von Gefühlen auslösen, die von Erregung über Langeweile und Belustigung bis hin zu Ekel reichen werden. Eines wird einem bei der Lektüre dieser Fantasien aber klar: Sexuell erregend kann so ziemlich alles sein.

In der zweiten Hälfte des Buches dann geht der Autor den Ursprüngen sexueller Fantasien auf den Grund. Anhand detaillierter Einzelfälle beschreibt und beweist der überzeugte Freudianer psychoanalytische Theorien und zeigt, dass nie nur ein Faktor zur Entstehung einer bestimmten Fantasie beiträgt. Brett Kahr zeigt auf, das sexuelle Fantasien bei fast jedem Menschen auftreten und zum Leben dazu gehören. Sie sind einerseits vielfältig und individuell äußerst unterschiedlich, andererseits kulturell geprägt und darin einander ähnlich. Sexuelle Fantasien sind meist ausgesprochen schambesetzt und können sogar zu ernsten psychischen und zwischenmenschlichen Problemen führen, andererseits für Entspannung und Vergnügen sorgen.

Leider sind bei diesen Ausführungen wissenschaftliche Aspekte jedoch viel zu kurz gekommen. Eine derart große Datenmenge hätte der Autor ruhig ausführlicher in Zahlen und Statistiken darstellen können, um damit seine Theorien zu untermauern. Stattdessen muss sich der Leser mit einem Minimum an Prozentangaben zufriedengeben, die außer der Häufigkeit eines bestimmten Fantasietyps in der Allgemeinbevölkerung nicht viel hergeben.

Insgesamt ist es Brett Kahr aber gelungen, einfühlsam und mit Humor ein Thema zu beschreiben, das viele beschäftigt und dennoch selten ehrlich besprochen wird. Wer immer schon wissen wollte, was beim Sex und der Masturbation in den Köpfen der anderen so vorgeht und ganz nebenbei etwas über das Vorgehen und die Denkweise eines Psychoanalytikers erfahren will, ist mit diesem Buch gut bedient.