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"Der Büchersack" ist die vielleicht bekannteste Erzählung aus der Sammlung "Ost und West" des englischen Autors W. Somerset Maugham, der mit bemerkenswertem psychologischem Gespür und einem untrüglichen Sinn für spannendes, tiefgründiges Erzählen zu Beginn des 20. Jahrhunderts wunderbare Literatur geschaffen hat.
In der vorliegenden novellenartigen Erzählung berichtet der Ich-Erzähler, der aus Angst vor langweiligen, nichts sagenden Gesprächen nie ohne einen ganzen Sack voller Bücher wegfährt, von einer Reise nach Malaysia, in der er überraschenderweise keines seiner Bücher benötigte.
Sein Gastgeber hat sich nach einem Abend im Club eines der Bücher aus dem großen Sack ausgeliehen, das sich mit dem Leben Lord Byrons befasst, eines englischen Dichters, der ein inzestuöses Verhältnis mit seiner Halbschwester pflegte. Der Gastgeber, Mark Featherstone, wird durch diese Lektüre und das Wiedersehen mit einem alten, guten Bekannten im Club stark aufgewühlt und erzählt dem Besitzer des Büchersacks eine so traurige wie wunderschöne Liebesgeschichte, in die er selbst, der Bekannte und dessen bezaubernde Schwester involviert waren.
Es wird nach dem durch die Byron-Biografie vorgegebenen Aufhänger niemand im Zweifel darüber bleiben, welcher Art die Tragik ist, die der in Malaysia spielenden Novelle innewohnt; auch nimmt man zu Recht an, dass eine solche Erzählung nur mit einer Katastrophe für alle Beteiligten enden kann.
Scheinbar harmlos und verschroben beginnt die Novelle: Der Ich-Erzähler beschreibt seine Marotte, nur mit einem Sack voller Bücher zu verreisen, sehr detailliert und nicht ohne Humor. Die Leser beziehungsweise Zuhörer werden rätseln, worauf dies hinauslaufen soll - wird es hier nur um eine Betrachtung der Literatur als Zuflucht vor nervtötenden zufälligen Gesprächspartnern gehen?
Auch der Beginn der Bekanntschaft mit Mark Featherstone wirkt konventionell. Was kann man sich davon versprechen außer einem klassischen Reisebericht, in dem die eigenwilligen Persönlichkeiten eines kleinen Clubs in den Kolonien im Mittelpunkt stehen?
Doch nach dem Zusammentreffen mit dem geheimnisvollen vierten Mann beim Bridge am ersten Abend verhält sich Featherstone sonderbar, er wählt zielstrebig die Byron-Biografie seines Gastes als nächtliche Lektüre und wirkt auch am folgenden Abend angespannt und verstört. Der Autor baut hier sehr geschickt einen Spannungsbogen auf, von dem der Hörer sich kaum lösen kann. Und dann platzt Featherstone mit seiner Geschichte heraus: Bruder und Schwester, früh getrennt und doch immer einander verbunden, später vom Ziel geeint, den geerbten Familiensitz einmal bewohnen zu können, schließlich Plantagenbesitzer in Malaysia, Außenseiter, die sich selbst genug zu sein scheinen; worauf dies hinausläuft, dürfte rasch klar sein, und doch entwickelt sich die Erzählung mit einer Dramatik und unterschwelligen Verzweiflung, die den Hörer fesselt und bestürzt, insbesondere, als der Bruder versucht, die Situation auf seine Weise zu retten, und die Schwester keinen Ausweg mehr sieht aus ihrem tiefen Dilemma. Featherstone, der die Schwester seines Freundes liebt, ist der eigentliche Verlierer in diesem Familiendrama, denn er kann nichts tun, um die sich anbahnende Katastrophe zu verhindern, ja, bis fast zum Ende ahnt er gar nicht, in welch unglückliche Konstellation er völlig unbedarft geraten ist.
Meisterlich vom Autor konzipiert und erzählt, packend gesprochen vom Schauspieler Hans Korte, ist dieses Hörbuch eine bemerkenswerte Umsetzung eines Klassikers. Geliefert wird das Hörbuch in einer schlichten, apart aufgemachten Kartonhülle.
Ein faszinierendes Stück Weltliteratur fürs Ohr, gut aufgemacht und für einen sehr fairen Preis erhältlich!