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Bevor das Römische Reich, zumindest sein westlicher Teil, unter dem Ansturm der Barbaren zerfiel, hatte es bereits lange Zeit Kontakte mit ihnen gehabt, und zwar keineswegs nur kriegerische: So herrschte unter anderem ein reger Austausch von Rohstoffen und Waren.
Die Völkerwanderung aber und als unmittelbare Folge daraus das Ende des römischen Imperiums stellt eine tiefe Zäsur in der europäischen Geschichte dar; nicht umsonst markiert sie den Übergang von der Antike zum Mittelalter.
Bis Anfang Dezember 2008 präsentiert die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn eine Ausstellung, die sich mit den Interaktionen zwischen Rom und den Barbaren von der Zeitenwende bis hin zum von den Karolingern dominierten Europa befasst. Gegenstand dieser Rezension ist der Katalog dieser Ausstellung.
Das Buch besteht aus sechs Teilen mit folgenden Titeln und Inhalten:
I. Die Identität von Römern und Barbaren: Sichtweisen, Beziehungen, Konfrontationen (1.-3. Jahrhundert n. Chr.)
II. Der Zusammenbruch und die Wiederherstellung des Reiches: Der Weg in ein christliches Reich (251-376 n. Chr.)
III. Der Barbareneinfall und der Zerfall der Grenzen im Okzident (376-473 n. Chr.)
IV. Die Entstehung der Barbarenreiche auf römischem Boden (5.-8. Jahrhundert n. Chr.)
V. Religion, Kultur und Gesellschaft in den römisch-barbarischen Königreichen (5.-8. Jahrhundert n. Chr.)
VI. Das karolingische Europa und die neuen Völker (8.-10. Jahrhundert n. Chr.)
Dem ersten Kapitel ist ein einführender Beitrag von Jean-Jacques Aillagon vorangestellt, der nicht nur über die Hintergründe der Ausstellung informiert, sondern auch über die Bedeutung der vielschichtigen Beziehungen zwischen Barbaren und Römern und die Machtverschiebung für die europäische Politik und Kultur nachfolgender Jahrhunderte sowie die Verwendung des Begriffs "Barbar" in der griechisch-römischen Antike und die Sichtweise moderner Europäer auf ihr "barbarisches" Erbe.
Im umfangreichen Anhang findet man unter anderem eine bei der Lektüre sehr hilfreiche Zeittafel; auch die Karten des römischen Reichs und der umgebenden Barbarenreiche zu mehreren bedeutenden Zeitpunkten dienen der Anschaulichkeit.
Die sechs Teile bestehen aus zumeist zahlreichen Einzelbeiträgen von Fachleuten aus unterschiedlichen europäischen Nationen, die spezielle Aspekte zum jeweiligen Thema detailliert vorstellen. Erwartungsgemäß haben die Exponate der Ausstellung eine zentrale Funktion innerhalb dieser Artikel. Leser, die sich für regionale Geschichte interessieren, werden manche der in Buch und Ausstellung präsentierten Funde bereits kennen, zum Beispiel die Grabfunde aus Haßleben oder den Schatz von Hildesheim. Im Buch werden sie im jeweiligen Kontext - je nach Schwerpunkt des Artikels und Art des Exponats politik-, kunst- oder kulturhistorisch - vorgestellt. Gelegentlich haben sie, insbesondere Waffen und Rüstungen, für die Beiträge eher eine illustrierende Funktion.
Die hochkarätigen, sorgfältig in die sechs Hauptteile eingegliederten Beiträge vermitteln umfangreiches Wissen über eine Epoche des Umbruchs, die üblicherweise fast nur aus der Sicht Roms betrachtet wird, während hier der häufig unterschätzte Einfluss der Germanen und anderen Barbaren, etwa der Hunnen, sorgfältig diskutiert wird. Über die Erwartungen an einen Ausstellungskatalog gehen Umfang und inhaltliche Tiefe der Beiträge sicher deutlich hinaus. Erfreulicherweise lassen sich die Texte zudem angenehm lesen.
Wer Prioritäten setzt, kann sich bei der Lektüre auf einzelne Beiträge beschränken, da diese nicht aufeinander aufbauen. Insofern kommt es gelegentlich zu inhaltlichen Überschneidungen, die jedoch nicht stören.
Die zumeist in den Text eingebetteten Abbildungen sind durchweg von hervorragender Qualität und angemessener Größe. Viele Artikel enthalten über die zugehörigen Exponate hinaus weitere Fotos, zum Beispiel von antiken Bauwerken.
Das hochwertige Buch leistet nicht nur in seiner eigentlichen Funktion als Katalog wertvolle Dienste zur Vor- oder Nachbereitung des Ausstellungsbesuchs, sondern stellt auch eine lohnende Investition dar, wenn man nicht beabsichtigt, die Ausstellung zu besuchen: als detailliertes, anspruchsvolles und reich illustriertes Sachbuch über eine bedeutende, häufig unterschätzte Epoche europäischer Geschichte.