Auch Philip Pullmans Fortsetzungsroman zu "Der Goldene Kompass" ist bei Heyne als "Filmausgabe" erschienen, wenngleich die tatsächliche filmische Umsetzung wegen des mäßigen Erfolgs von Lyras erstem Abenteuer noch in den Sternen steht.

Der zwölfjährige Will Parry schwebt, da ist er sich sicher, in höchster Gefahr. Unbekannte Männer versuchen, an die Dokumente seines auf einer Polarexpedition verschollenen Vaters zu gelangen. Wills schwer depressive Mutter hat die Unterlagen versteckt - doch wie lange sind sie dort sicher, wenn die unheimlichen Männer ernsthaft daran interessiert sind? Will beschließt, die Dokumente zu entwenden und in Sicherheit zu bringen. Auf der Flucht kommt ihm ein glücklicher, schier unglaublicher Zufall zur Hilfe: Er entdeckt ein Tor in eine andere Welt, in der er sich verstecken kann. In dieser Welt, in der seltsamerweise keine Erwachsenen zu leben scheinen, trifft er die etwa gleichaltrige Lyra und deren Daemon Pantalaimon, die auch durch ungeklärte Umstände hierher geraten sind. Gemeinsam müssen sie sich grausamen Kindern erwehren, die selbst vor Mord und Totschlag nicht zurückschrecken. Außerdem gelangen sie in den Besitz eines Magischen Messers, das Tore in weitere Welten schneiden kann. Während die Kinder noch fasziniert sind von der Macht des Messers, sind sie bereits ins Visier zweier verfeindeter Parteien geraten - und unwissend um die besondere Rolle, die sie in einem jahrhundertealten Kampf spielen sollen, geraten sie in einen Strudel von Ereignissen, die ihre Vorstellungskraft übersteigen. Zugleich müssen Lyra und Will erfahren, dass sich ihre Wege womöglich nicht zufällig gekreuzt haben ...

Was in "Der Goldene Kompass" als klassische Abenteuergeschichte begann, nimmt in dieser Fortsetzung Dimensionen an, die man zu Anfang nicht für möglich gehalten hätte. Philip Pullman setzt die Geschichte des ersten Bandes nahtlos fort und bringt neue Charaktere in die Geschichte ein, die diese erweitern und bereichern. Doch auch die alten, liebgewonnenen Figuren aus dem ersten Teil der "His Dark Materials"-Trilogie - hier seien nur der Panzerbär Iorek Byrnison, die schwer einzuschätzende Mrs. Coulter und Lyras Vater Lord Asriel genannt - sind weiterhin teil des großen Fantasy-Abenteuers. Dem Leser wird - wie auch Lyra und Will im Buch - so langsam klar, dass die Geschehnisse, die zunächst unzusammenhängend erscheinen, auf ein großes Ganzes hinauslaufen werden. Getragen wird das spannende und tiefgründige, ja fast berauschende Leseerlebnis von Pullmans erzählerischer Leichtigkeit und einer grenzenlos anmutenden Fantasie, die ihresgleichen nicht nur sucht, sondern auch kaum finden wird. Als Kinder- und Jugendroman konzipiert, ist "Das Magische Messer" auch für erwachsene Fantasy-Leser geeignet, weil viele philosophische Aspekte des Buches und Anspielungen auf Politik und Religion eine ganz andere Tragweite entwickeln, wenn man eine entsprechende Vorbildung hat. Wer zu sehr in der christlichen Tradition verwurzelt ist und diesbezüglich keine Religionskritik ertragen beziehungsweise seinen Kindern zumuten will, sollte wohl einen Bogen um die gesamte Trilogie machen. Alle anderen erwartet ein temporeiches Abenteuer, das Grenzen sprengt und in seinen Bann zieht, das große Gefühle ebenso wie knisternde Spannung bietet - und das mit einem fast noch spektakuläreren Cliffhanger endet als der erste Band. Wenngleich in sich nicht ganz so schlüssig wie "Der Goldene Kompass", so ist dieser Mittelteil der Trilogie für sich genommen dennoch ein starkes Stück Fantasy, das im Genre qualitativ weit über den üblichen Verdächtigen anzusiedeln ist.

Fazit: Höher, schneller, weiter - unverzichtbare Hochspannung für Fantasyjünger!