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England, 1521: Die Zeit der Rosenkriege ist vorbei. Mit Henry VIII sitzt ein gleichsam verehrter als auch gefürchteter Tudor-König auf dem Thron. Unter der Herrschaft des launenhaften Mannes scheint beinahe alles möglich: Man muss nur wissen, wie man es anpacken muss - und bereit sein, einen gewissen Preis dafür zu bezahlen.
Als Henrys Auge auf die blutjunge Mary Boleyn fällt, fackelt deren Familie deshalb nicht lange und befiehlt dem Mädchen, auf das Werben des Königs einzugehen. Obwohl sie verheiratet ist, soll Mary Henrys Mätresse werden und ihrer Familie so zu größtmöglichem Ruhm und Einfluss verhelfen. Ihr ist zwar klar, dass sie nichts weiter ist als eine austauschbare Figur in einem gefährlichen Spiel um Macht und Reichtum, sie fügt sich jedoch in ihre Rolle und lernt bald zu ihrer eigenen Überraschung den kindsköpfigen König auf eine gewisse Art zu lieben. Darum schert sich freilich niemand, als Marys Schwester Anne eine Gelegenheit ergreift, dem König nach allen Regeln der Kunst den Kopf zu verdrehen. Vielmehr wird Mary von ihrer Familie sogar zur Seite gedrängt und angehalten, Anne - die neue Favoritin des Königs - zu unterstützen. Denn obwohl sich der Einsatz für die Familie Boleyn deutlich erhöht hat, wissen alle, dass Annes Ehrgeiz und ihr Geschick dazu führen könnten, einen Preis zu erringen, der alle Opfer wert ist: die Krone Englands.
Philippa Gregorys Roman sagt man nach, das vor einigen Jahren entflammte Interesse an der Tudor-Zeit geweckt zu haben. Tatsächlich haben sich seit Erscheinen von "Die Schwester der Königin" auch zahlreiche andere Schriftsteller an diese Zeitspanne herangewagt, der US-Sender Showtime hat sehr erfolgreich seine TV-Serie "The Tudors" im Abendprogramm platziert und der Roman selbst wurde bereits zweimal verfilmt (einmal von der englischen BBC, einmal von Hollywood mit Scarlett Johannson und Natalie Portman in den Hauptrollen). Wer die Verfilmung gesehen hat, dem sei gesagt, dass die Romanvorlage wesentlich besser ist als die Adaption. Philippa Gregory erzählt nicht nur in einem ungemein packenden Stil, ihr akademischer Hintergrund trägt außerdem dafür Sorge, dass sie eine gewisse Ahnung hat, wovon sie schreibt.
"Die Schwester der Königin" mag nicht an jeder Stelle historisch akkurat sein - tatsächlich musste sich das Buch diesbezüglich einige harsche Kritik gefallen lassen, zum Beispiel was die sexuelle Orientierung von Annes und Marys Bruder George angeht und vor allem die Darstellung der auf den britischen Inseln recht beliebten Anne Boleyn als berechnende, verbissene und vom Ehrgeiz zerfressene junge Frau. Gregory beruft sich wiederum auf historisch verbürgte Quellen. Wo ihre Fabulierkunst beginnt und die historische Genauigkeit endet, ist etwas, womit sich gestandene Historiker gern auseinandersetzen dürfen.
Fest steht, dass es der Autorin gelingt, ein sehr plastisches Bild vom königlichen Hof der Tudor-Zeit zu malen, wobei sie sich hier auf das Leben und die Sichtweise der adeligen Frauen konzentriert. Gekonnt entführt sie ihre Leser in eine Welt der höfischen Intrigen, in der Schein wichtiger ist als Sein, wo Worte scharf wie Messer sind und keine noch so kleine Tat unbeobachtet bleibt.
Gerade dadurch, dass Gregory den Roman in der Ich-Form verfasst hat, Mary sozusagen ihre eigene Geschichte erzählen lässt, hat man immer das Gefühl, ganz nah am Geschehen zu sein. Man kann sich gut in die junge Frau hineinversetzen, lacht mit ihr, liebt mit ihr und leidet mit ihr. Dass die Geschehnisse aus Marys subjektivem Blickwinkel erzählt werden, übt einen zusätzlichen Reiz aus. Da ist es auch gar nicht schlimm, dass der geschichtlich versierte Leser längst weiß, wie die Rivalität zwischen ihr und Anne ausgehen wird. Fasziniert folgt man den Wendungen der geschwisterlichen Beziehung der beiden, die mal enger, mal distanzierter ist, jedoch durchgängig geprägt von einem verbissenen Wettstreit. Zwischendurch mag sich der Leser fragen, weshalb sich Mary nicht von ihrer Familie abwendet, Philippa Gregorys Figuren bewegen sich jedoch im Rahmen ihrer Möglichkeiten in der damaligen Zeit und berufen sich glaubhaft auf das Sprichwort, das Blut eben oftmals doch dicker ist als Wasser.
"Die Schwester der Königin" mag vielleicht nicht zu hundert Prozent historisch korrekt sein, mit Sicherheit jedoch erzählt Gregory eine mitreißende, aufregende und sehr lesenswerte Geschichte um zwei unterschiedliche junge Frauen im England der Tudor-Zeit.