Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Das Internet, insbesondere Web 2.0, bietet jedem Menschen mit Internetanschluss die Möglichkeit, sich ins Netz einzubringen und dort zu präsentieren. Demokratischer geht es nicht, möchte man meinen und nutzt eifrig Wikipedia, YouTube, Blogs und zahllose andere nutzergenerierte Medien.
Andrew Keen, Unternehmer aus dem Silicon Valley, sieht diese Entwicklung sehr kritisch. Er interpretiert den rechtsfreien Raum Internet als Anarchie, nicht als Demokratie. Im ersten Kapitel zeigt Keen auf, wie er von einem begeisterten Anhänger des Internets beziehungsweise der Möglichkeiten von Web 2.0 zu einem scharfen Kritiker wurde. Die darauf folgenden Kapitel befassen sich mit einzelnen Aspekten, die Keen anprangert; sie sind in sich nochmals nach Themen gegliedert.
Keen greift das gern verwendete Bild des "edlen Amateurs" an, der beispielsweise auf Wikipedia und Nachrichtenblogs das Internet gestaltet, und stellt ihm den ausgebildeten Fachmann gegenüber. Ein komplexes Kapitel befasst sich mit den verschiedensten Lügen und Betrügereien, deren Urheber das Internet als Vehikel benutzen: Spammer und Abzocker, politische Randgruppen, manche Lobbyisten und Pädophile, um nur die in der Öffentlichkeit bekannteren Beispiele zu wählen.
Da der Autor sich sehr für Musik interessiert, ist ein Kapitel dem seiner Ansicht nach dem Internet anzulastenden Todeskampf der Musikindustrie gewidmet, ein weiteres Hollywood und anderen Industrien, die sozusagen Kunst und Kultur produzieren.
Im Kapitel "Moralische Verwirrung" werden potenzielle, ganz unmittelbare Gefahren für den einzelnen Internet-Nutzer aufgezeigt, etwa die Veröffentlichung privater Daten und Äußerungen durch Dritte, das Abgleiten in Online-Spielsucht, die allgegenwärtige Pornografie im Netz und so weiter.
Ein Kapitel zeigt Lösungen auf, und das letzte wirft die Frage auf, ob nutzergenerierte Medien möglicherweise die amerikanische Demokratie zerstören. Als Beispiele dienen Äußerungen von Politikern, die während des Wahlkampfs bewusst aus dem Zusammenhang gerissen und im Internet gezielt und aufwändig verbreitet wurden.
Hätte der Autor nicht selbst ein Online-Unternehmen gegründet, könnte man ihn angesichts dieses Inhaltsabrisses leicht als technikfeindlichen Ewiggestrigen abtun. Sein Buch erzeugte in Amerika gegensätzliche Reaktionen: Die einen beschimpften ihn als Reaktionär, die anderen gaben ihm erstklassige Bewertungen. In Europa dürfte das Echo auf "Die Stunde der Stümper" nicht viel anders ausfallen. Begeisterte Blogger und Fans von YouTube werden kaum begeistert davon sein, dass Keen einen Kreuzzug gegen das Unmaß an unqualifizierter, von anderen Nutzern zumeist kritiklos konsumierter öffentlicher Meinungsäußerung und flachen Amateurfilmchen unternimmt.
Wer sich freilich schon einmal mit falschen, Wikipedia oder einer anderen benutzergenerierten Plattform entnommenen Informationen blamiert hat, seinem vorpubertären Kind eine Erklärung für die Inhalte einer zufällig "erwischten" Pornoseite liefern musste, sich über gewisse Google-Rankings gewundert hat und sich fragt, wohin die von gewissen Internetunternehmen angestrebte Digitalisierung aller verfügbaren Bücher führen soll, dürfte dieses Buch mit Interesse lesen und den Inhalten zu einem guten Teil zustimmen.
Keen versteht sich selbst keineswegs als "Spaßbremse", zeigt aber grundsätzlich anhand von einsichtigen Argumenten und nachvollziehbar auf, wie ganze Industriezweige und somit auch daran hängende Arbeitsplätze und darüber hinaus potenzielle Kreative durch benutzergenerierte Medien massiv beeinträchtigt werden. Stellenweise freilich gleitet das Buch stark ins Polemische ab; der Autor verrennt sich auch schon mal in allerlei Details der kriminellen Möglichkeiten des Webs.
Dem Eindruck, dass das Internet die Verflachung der Kultur vorantreibt, können sich sicher viele kritische Nutzer anschließen. Auch Beispiele für seine Eigenschaft als fast rechtsfreie Plattform für politische und sonstige Wirrköpfe, Abzocker und geschickt getarnte Lobbyisten, die auf Blogs mitmengen, hat wohl jeder bereits zur Kenntnis genommen. Keen zeigt einige durchaus realistische, gut durchdachte Lösungsvorschläge auf.
Da das Buch zahlreiche tatsächliche Probleme des Web 2.0 benennt und insgesamt wirklich gut geschrieben ist, verdient es eine positive Bewertung. Dass die (Amateur-!) Rezensentin eines von engagierten Amateuren (!), sprich: Stümpern nach Keens Verständnis, betriebenen Internet-Portals diese nur zögernd abgibt, steht auf einem anderen Blatt, soll aber nicht verschwiegen werden.