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Es hat immer wieder Menschen aus so genannten kleinen Verhältnissen gegeben, oder solche mit anderen gravierenden "Makeln", die sich nicht in ihr Los ergeben, sondern in der Welt etwas erreichen wollten. In seinem Buch "Himmelsstürmer" stellt Alex Capus die Biografien von zwölf gebürtigen Schweizern vor, die ihr Land verließen, um anderswo ihr Glück zu suchen. Manche von ihnen erlangten bleibende Berühmtheit, andere sind heute weitgehend in Vergessenheit geraten.
Zu den nach wie vor bekannten Protagonisten gehören Jean Paul Marat, eine der Hauptfiguren der französischen Revolution, und Marie Grosholtz, die unter dem Namen Marie Tussaud das weltberühmte Wachsfigurenkabinett eröffnete, übrigens zu Marats Zeit, dem sie, wie Capus ausführt, auch mehrmals begegnete.
Eher berüchtigt als berühmt wurde Marie Roux, die als Maria Manning in England hingerichtet wurde, nachdem sie aus Habgier berechnend und grausam ihren Liebhaber ermordet hatte.
Zu den unbekannten, aber nicht minder interessanten Persönlichkeiten in "Himmelsstürmer" zählt Regula Engel, eine außergewöhnlich fruchtbare Offiziersgattin, die ihren Mann und damit Napoleon bei diversen Feldzügen begleitete und Kind um Kind an Krankheiten und napoleonische Kriege verlor. Wenn erforderlich, focht sie in den Schlachten in Offiziersuniform mit, so auch in Waterloo. Auf der Suche nach in den Kriegswirren verschollenen Söhnen zog die zu dieser Zeit schon nicht mehr junge Frau bis nach Amerika und starb schließlich hochbetagt und arm in der Schweiz.
Ferdinand Hassler aus Bern ermöglichte als Landvermesser den USA einen wichtigen Flächengewinn auf Kosten Kanadas, Samuel Pauli machte bahnbrechende Erfindungen, dies jedoch stets zur unpassenden Zeit, sodass später andere sie nutzten, Hans Jakob Meyer, ein "abgebrochener Student" mit erfundenem Doktortitel, engagierte sich im Freiheitskampf der Griechen gegen die Türken. Und Adolf Haggenmacher leistete wertvolle Dienste als Afrikaforscher. Der Toggenburger Eduard Spelterini arbeitete als Ballonführer für berühmte Persönlichkeiten und Wissenschaftler seiner Zeit, Isabelle Eberhardt führte ein in ihrer Epoche unerhört wildes Leben in Nordafrika, Pierre Gilliard, Hauslehrer der Kinder des letzten Zaren, begleitete die Zarenfamilie bis zu ihrem traurigen Ende, und Fritz Zwicky schließlich war der Erste, der ein irdisches Objekt in den Weltraum schoss.
Alex Capus versteht es, nicht nur interessante Biografien von ausgewanderten Schweizern auszuwählen, sondern diese auch ausreichend detailliert, dabei jedoch im kurzweiligen Erzählton darzustellen. Er kann sich gut in seine Helden hineinversetzen, und selbst der Werdegang der Mörderin Maria Manning wird ein Stück weit nachvollziehbar. Meisterlich dargestellt sind auch die Gescheiterten, zum Beispiel Samuel Pauli mit seinen geradezu genialen Ideen, die er entweder mangels weitsichtiger Auftraggeber nicht umsetzen konnte oder aufgrund der Tatsache, dass die Technik zu seiner Zeit für seine kühnen Gedanken noch nicht weit genug fortgeschritten war. Und Capus fordert Respekt ein für jene, die wie Ferdinand Hassler ihren Lebenstraum allen Widrigkeiten zum Trotz beständig verfolgten und schließlich wahr machen konnten.
Madame Tussaud, Gegenstand der ersten Biografie, lebte zeitgleich mit etlichen weiteren Porträtierten und liefert deshalb immer wieder die Möglichkeit zu eleganten Überleitungen, die zur lebendigen Gestaltung des Buchs beitragen.
Besonders erstaunlich muten die Frauenporträts an: Madame Tussaud, die zunächst das Handwerk und Geschäft ihres Pariser Stiefvaters übernimmt und nach der Revolution, die Zeichen der Zeit erkennend, in London Erfolg hat; die unerschrockene Regula Engel, Offiziersfrau und Offizierin in Napoleons Gefolge und Mutter von einundzwanzig Kindern, von denen sie mindestens achtzehn um etliche Jahrzehnte überlebt, und Isabelle Eberhardt, die sich nicht im Geringsten um Konventionen schert und ein Abenteurerleben führt, das die meisten Männer nicht lange durchgehalten hätten. Nicht zu vergessen Maria Manning, deren Traum vom Leben in Reichtum und Sorglosigkeit am Schafott endet.
Jeder Kurzbiografie ist ein Bild oder Foto beigefügt. Und wer Feuer gefangen hat für einen der Protagonisten, findet im Literaturverzeichnis Anregungen zu weiterführender Lektüre.
Ein spannendes und interessantes Buch, das zu lesen nicht nur Schweizer bereichert. Die zwölf Portraits zeigen in ihrer schillernden Vielfarbigkeit das ganze Spektrum menschlicher Sehnsüchte und ihrer mehr oder weniger erfolgreichen Umsetzung auf.