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Während die Neurowissenschaften aus der dritten Perspektive und "objektiv" den Geist zu ergründen versuchen, zudem eine recht junge Wissenschaft sind, erforscht der Buddhismus seit über 2500 Jahren mit Hilfe meditativer Methoden den Geist aus der Ich-Perspektive. Da liegt es nahe, die gewonnen Erkenntnisse abzugleichen und sich gegenseitig zu befruchten.
Wolf Singer ist einer der führenden Neurowissenschaftler Deutschlands und der breiten Öffentlichkeit durch seine These bekannt, dass der freie Wille nicht existiere und nur eine Illusion sei. Er ist Direktor der Abteilung Neurophysiologie des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt am Main. Singer gehört zum wissenschaftlichen Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung, einer
Stiftung zur Förderung des evolutionären Humanismus, die beispielsweise die "prinzipielle Unverträglichkeit von aufklärerischem und religiösem Denken" vertritt. Außerdem ist er Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, dem naturwissenschaftlichen Beratergremium des Vatikans.
Matthieu Ricard ist promovierter Molekularbiologe, entschied sich jedoch vor mehr als dreißig Jahren die wissenschaftliche Karriere gegen die buddhistische Lehre einzutauschen und zog in ein nepalesisches Kloster. Er ist offizieller Französisch-Übersetzer des Dalai Lama und Mitglied im Ausschuss des Mind & Life Institute, das die Kommunikation zwischen westlichen Wissenschaften und Buddhismus fördern will. Ricard hat zahlreiche Bücher veröffentlicht.
In "Hirnforschung und Meditation" treten beide in Dialog und reden über Meditation und Hirnforschung als zwei Wegen zum Verständnis des menschlichen Geistes. Zunächst macht Ricard deutlich, dass der buddhistische Weg kein emotionsloser Weg ist, dass es nicht darum geht, ein klares und von allen Emotionen befreites Bewusstsein zu erreichen. Vielmehr ist von Bedeutung, sich von seinen Emotionen nicht versklaven zu lassen, sich von konfliktträchtigen Affekten, wie Festhaltenwollen oder Leid, freizuhalten. Meditation ist nicht nur ein Weg mit diesen Emotionen umzugehen, sondern will auch bestimmte Geisteszustände, wie Mitgefühl, kultivieren. Als Wissenschaftler benutzt Singer andere Worte als der Buddhist Ricard. Singer fragt nach Lernprozessen, nach der Entwicklung neuer Fertigkeiten, nach Aufmerksamkeit und der Modulation mentaler Zustände. Er spricht über neuronale Grundlagen beim Lernprozess, der die Meditation ist, und über kognitive Kontrollmechanismen, die Aufmerksamkeit erfordern und modulierend auf bestimmte Hirnstrukturen einwirken. Im Verlauf des Gesprächs werden nicht nur die Begriffe gegenüber gestellt und mögliche neuronale Mechanismen erläutert, sondern auch Ergebnisse von Studien vorgestellt, in denen Personen während einer Meditation untersucht wurden.
Obwohl sich Ricard letztlich für einen anderen Weg des Erkenntnisgewinns entschieden hat als Singer, ist ihm die westliche Wissenschaft aufgrund seiner universitären Ausbildung nicht fremd. Für das Gespräch, das in "Hirnforschung und Meditation" in Auszügen veröffentlicht wurde, ist das von Vorteil. Obwohl Ricard die Sicht des Buddhismus vertritt und erklärt, kennt er die Denkweise der westlichen Wissenschaften und kann sich in dessen Gedankengebäude ebenso sicher bewegen wie im buddhistischen. Anknüpfungspunkte zwischen den zwei Methoden werden dadurch noch deutlicher.
Jedem, der an neuronalen Korrelaten von Meditation interessiert ist, sei dieses Büchlein empfohlen. Ein bisschen neurowissenschaftliche Vorbildung ist sicher von Vorteil, grundsätzlich aber sollte das Gespräch auch für Laien verständlich sein. Die Form des Dialogs hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Ein Gespräch wird viel weniger durch eine vorherbestimmte Struktur bestimmt als ein Buch und vielmehr durch einen assoziativen Verlauf. Durch eine Einteilung in insgesamt 46 kurz gehaltene Abschnitte mit themenbezogenen Überschriften wird dem Leser jedoch ein Hilfsmittel an die Hand gegeben, dem Gespräch besser folgen zu können. Ein Vorteil ist, dass Fragen direkt gestellt und beantwortet werden. Während Wolf Singer naturgemäß eher Fragen zu buddhistischer Lehre und meditativer Praxis stellt, zielen die Fragen von Matthieu Ricard eher in Richtung neurowissenschaftlichen Verständnisses.
Ein interessantes Gespräch über die Praxis der Meditation und entsprechende neuronale Mechanismen, das auch als Einführung in die Themen gelungen und geeignet ist.