Gesamt |
|
Anspruch | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Poker auf hohem Niveau ist eine Wissenschaft für sich. Und solche Wissenschaften brauchen auch Fachbücher. Wahrscheinlich gibt es über kaum ein Spiel nach Schach so viel Literatur wie über Poker. "Kill Everyone" klingt zwar eher nach einer Anleitung zum Amoklauf, es geht aber um Poker, darum, bei Turnieren gegen alle zu gewinnen. Mit Lee Nelson, Tysen Streib und Kim Lee hat das Buch gleich drei Autoren, die nicht ganz so prominent sind, aber immer noch Profipokerspieler.
"Kill Everyone", das mit einem Vorwort von einem Weltmeister, Joe Hachem nämlich, aufwartet, will am Puls der Zeit sein und verfolgt in vielen Ideen die momentanen Strömungen des Poker nach. Damit beginnt es auch, mit den Spielern alter und neuer Schule, die sich gegenüber gestellt werden. Im ersten Kapitel geht es eigentlich um die Strategien am Anfang eines Turniers, aber da die bei traditionellem Poker sehr anders ist als bei den heute bevorzugten Spielweisen, kann man hier sehr klar sehen, wo die Unterschiede sind. Hielt man früher am Anfang eher die Füße still, spielte nur gute Hände und versuchte so, immer einen Chipstapel vor sich zu haben, der größer als der Durchschnitt ist, so spielt man heute jede zweite Hand, erhöht aggressiv, versucht von vorneherein, möglichst viele Pots zu stehlen und Gegner zu demoralisieren; viele der Spieler dieser Ausrichtung schaffen enorme Stapel relativ früh im Turnier.
Viel interessanter als die frühe Phase in einem Turnier ist ja eigentlich die, in der es um die Wurst geht, das Endspiel. Hier liegt das Hauptaugenmerk des Buches und die größte Seitenzahl. Dabei gibt es relativ verschiedene Themen. Auf der einen Seite geht es um grundlegende Konzepte, teilweise aber auch um recht spezielle Spielsituationen. Neben den Ideen, die dabei vermittelt werden, geht es immer wieder auch um die Mathematik, die dahinter steckt, es werden neue Faktoren wie die Turnierodds eingeführt, und viele Seiten sind hauptsächlich von nicht sehr übersichtlichen Tabellen gefüllt. Neben den meisten Unterkapiteln, die sehr viel Theorie beinhalten, gibt es auch ein sehr praktisches: eine Hand-für-Hand-Analyse eines Miniturniers mit sehr prominenten Mitspielern.
In einem weiteren Kapitel gibt es dann verschiedene kleinere Themen, die allseits beliebten Tells, die dem Gegner alles mögliche verraten sollen, wie man sich auf Turniere vorbereiten muss, und was alles zum Glück gehört, das man bei einem Turnier eben auch haben muss.
Die Autoren haben neue Ideen, keine Frage, wagen es sogar dem großen David Sklansky, dem Cheftheoretiker des Poker, in einer Frage ganz und gar zu widersprechen. Aber viele der Ideen wirken noch ein bisschen ungefestigt - warum sollte man sonst Unmengen von unlesbaren Statistiken einbauen, wenn nicht, um seine Ideen zu rechtfertigen? Viele der Ideen sind auch noch ein bisschen schwammig - bis da Konzepte draus werden, die auch dem Pokeramateur wirklich helfen, wird noch einige Zeit vergehen. Für den Profi ist das aber natürlich eine andere Angelegenheit. Der sieht die Wichtigkeit von den teilweise recht speziellen und gar nicht so signifikanten Unterschieden von zwei Strategien.
Ein bisschen enttäuschend ist dennoch die Verbreitung von immer wiederkehrenden Weisheiten, die eigentlich nicht in ein Buch gehören, das sich wirklich an sehr fortgeschrittene Spieler wendet. Wer auf dem Level, auf dem die einzelnen Ideen präsentiert werden, Poker spielt und versteht, der sollte alles über Tells wissen, was hier letztlich als Quintessenz anderer Bücher verkündet wird.
Wer viel Mathematik und einige etwas dröge geschriebene Kapitel nicht fürchtet, kann gerade was das Spiel auf der Gewinnblase, der Bubble, angeht, hier viel lernen. Für den Anfänger ist das Buch unlesbar und vermutlich sehr frustrierend. Ein bisschen mehr Klarheit hätte dem ganzen Buch sehr gut getan.