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 Der zählende Mensch

Was Emotionen mit Mathematik zu tun haben


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis


André Frank Zimpel ist Professor für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Geistigbehindertenpädagogik an der Universität Hamburg. In seinem Buch "Der zählende Mensch" will er der Beziehung zwischen Mensch und Zahl nachspüren. Es geht ihm dabei sowohl um die Fähigkeit des Menschen mit Zahlen umzugehen und die Entwicklung dieser Fähigkeit als auch um die Tatsache, dass verschiedene Wissenschaften menschliches Leben mit Zahlen erfassen, um daraus Gesetzmäßigkeiten abzuleiten.

Zimpel hat sein Buch in drei Teile mit jeweils drei Kapiteln gegliedert. Der erste Teil gibt eine allgemeine und recht weit gefächerte Einführung in das ingenieursmathematische Denken und das darauf beruhende und daraus entstehende Menschenbild. Ein besseres Verständnis für menschliches Verhalten ist durch die Ingenieursmathematik, die den Menschen am Durchschnitt misst und die Vielfalt außer Acht lässt, nach Ansicht des Autors jedoch nicht zu erreichen. Der Ingenieursmathematik, dessen Motto "Alles werde Zahl!" ist, stellt der Autor ein pythagoreisches Verständnis von Mathematik gegenüber: "Alles ist Zahl!" Zimpel fordert eine neue mathematische Herangehensweise an den Menschen, die er Humanmathematik nennt, und definiert sie als "die nicht verdinglichende Art der Entwicklung mathematischer Modelle von Eigenschaften und Prozessen, die mit dem menschlichen Bewusstsein zu tun haben." Im zweiten Teil des Buches stellt er die Montessori-Formel zur Polarisation der Aufmerksamkeit, die Lewin-Formel zu menschlichem Verhalten und die Piaget-Formel zur geistigen Entwicklung vor, die er als historische Versuche sieht, diesen neuen Weg zu begehen. Bei Montessori ist das Verhalten (V) die Summe aus der persönlichen Innenwelt der Person (P) und den Einflüssen der äußeren Umwelt (U), also: V=P+U. Bei Lewin ist das beobachtbare Verhalten einer Person ebenfalls abhängig von der Person und der Umwelt, die Funktion ist allerdings unbestimmt: V=f(P,U). Bei Piaget ist das momentane Bewusstsein einer Person (P) abhängig von der Koordination der Umwelt zu diesem Zeitpunkt, die wiederum auf Rückkopplungen - Piaget bezeichnet diese als Kreisreaktionen - zwischen Person und Umwelt basieren. Seine Formel lautet: Pn=Vn(U0). Die Frage, die sich an dieser Stelle stellt, welchen Nutzen nämlich diese Formeln in Forschung und Praxis tatsächlich haben, beantwortet der Autor im dritten Teil seines Buches, ebenso warum wir ein Gegengewicht zur Ingenieursmathematik brauchen, das dem Einzelnen als Individuum gerecht wird, und wie dieses Gegengewicht aussehen könnte.

"Der zählende Mensch" ist vor allem ein interdisziplinäres Buch, das sich im Spannungsfeld von Mathematik, Psychologie, Neuro-, Erziehungs- und Informationswissenschaften bewegt. All diese Perspektiven auf das Verhältnis zwischen Mensch und Zahl anzuwenden, ist ein recht ambitioniertes Unterfangen. Bei einem Umfang von gerade mal 191 Seiten könnte man bereits vor dem Lesen zu dem Schluss kommen, dass es bei einem Versuch bleiben wird. Nicht nur, dass potenzielle Leser aus ganz verschiedenen Fachrichtungen an ihren jeweiligen Wissensständen abgeholt werden müssen, sondern auch die vielen Fäden, die der Autor hier in der Hand hält, sollten an irgendeiner Stelle zusammenlaufen und integriert werden, um für den Leser einen zusammenhängenden Sinn zu ergeben.
Dabei schafft es der Autor durchaus, allgemeinverständlich zu schreiben - so muss man beispielsweise nicht Mathematik studiert haben, um dem Autor folgen zu können. Das gelingt ihm vor allem auch durch die zahlreichen Beispiele, was wiederum ganz im Sinne seiner geforderten Hinwendung zum Individuum ist. Doch letztlich bleibt es bei diesen Beispielen. Der Leser ist selbst gefordert, sich die Bedeutung dieser Beispiele für das, was der Autor sagen will, zu überlegen. Das Gleiche gilt für die Integration der Erkenntnisse, die der Autor zu vermitteln versucht. Als Leser hat man am Ende des Buches ein diffuses Gefühl, aber keine konkrete Idee. Bei der Bedeutung der vorgestellten Formeln für das Verständnis des Menschen ist er ebenso wenig konkret wie bei seiner Definition der neuen Humanmathematik. Auch geht er nicht wirklich darauf ein, welchen Vorteil ein individuumszentrierter Ansatz einem statistischen gegenüber hat. Selbstverständlich kann und soll man die statistische Herangehensweise an den Menschen, die Orientierung am Durchschnitt und die Ableitung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten daraus kritisch hinterfragen - was der Autor allerdings nicht tut -, genauso aber sollte ein individuumszentrierter Ansatz reflektiert werden und die Frage, was dieser Ansatz für die Praxis und Forschung leisten kann, gestellt werden. Bloße Behauptungen aufzustellen, seine Meinung kundzutun und Argumente beziehungsweise Beispiele für die eigene Sichtweise zu präsentieren, ist dann doch zu wenig für ein Buch, das im Klappentext von einer "kopernikanischen Wende" spricht. So ist dieses Buch keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis des Menschen zur Mathematik und umgekehrt, sondern ein Plädoyer für eine neue Sichtweise auf den Menschen und auf die Wissenschaft, die durchaus ihre Berechtigung hat und ein interessanter Ansatzpunkt der Auseinandersetzung sein kann. Zimpel trägt allerdings nur Informationen zusammen, die er letztlich nicht integrieren kann.

Katja Maria Weinl



Hardcover | Erschienen: 1. Februar 2008 | ISBN: 9783525315422 | Preis: 19,90 Euro | 191 Seiten | Sprache: Deutsch

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