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Auch im Westen widmen sich immer mehr Menschen einer spirituellen Praxis - sei es jetzt Buddhismus, Yoga, christliche Mystik oder Schamanismus. Kann dies am Anfang noch ganz entspannend sein, so treten bei zunehmender Intensität und Tiefe der Praxis häufig transformative Krisen auf. Diese dramatischen Erfahrungen und ungewöhnlichen Geistesverfassungen werden in der klassischen Psychiatrie schnell als Geisteskrankheiten diagnostiziert. Tatsächlich handelt es sich aber um Phasen der persönlichen Transformation und des Wachstums, um spirituelle Notfälle also. In der religiösen Literatur werden über die Jahrhunderte Vorkommnisse dieser Art beschrieben.
Das vorliegende Taschenbuch, das 2008 in Neuauflage im Schirner Verlag erschienen ist, versammelt auf über dreihundert Seiten Beiträge verschiedener Autoren zum Thema "Spirituelle Krisen - Chancen der Selbstfindung".
Herausgeber sind der bekannte Arzt und Bewusstseinsforscher Stanislav Grof und Christina Grof, Mitbegründerin des SEN Spiritual Emergence Network, von dem später noch die Rede sein wird. Sie haben die Beiträge ausgewählt und führen in das jeweilige Thema ein. Auf ein bis zwei Seiten werden die Autoren, unter denen sich auch Roberto Assagioli, Jack Kornfield und Ram Dass befinden, vorgestellt. Stanislav und Christina Grof sind selbst auch mit eigenen Beiträgen vertreten.
Die Beiträge sind in vier Bereichen thematisch zusammengefasst. Die Artikel des ersten Teils erforschen die Beziehungen zwischen Psychologie, Spiritualität und Psychose. Unterschiedliche Formen der persönlichen evolutionären Krisen werden im zweiten Abschnitt detailliert erläutert. Der dritte Teil behandelt Probleme, denen Menschen auf ihrer spirituellen Reise begegnen, und der vierte Teil ist auf die praktischen Probleme von Menschen in spirituellen Krisen ausgerichtet.
Ein Nachwort beschäftigt sich mit spirituellen Notfällen und globaler Krise. Im Anhang finden sich weiterführende Literaturvorschläge, ein Literaturverzeichnis und Informationen über die Herausgeber.
Worum es eigentlich geht und welche Fallgruben auf dem spirituellen Weg lauern, wird sehr gut dargestellt in der Einführung der Herausgeber und deren ersten Beitrag.
Die Beiträge vermitteln glaubhaft, dass spirituelle Krisen ein positives Potential beinhalten und nicht mit Krankheiten verwechselt werden dürfen. Sie zeigen auf, dass die traditionelle Psychiatrie oft keinen Unterschied macht zwischen Psychose und Mystik und dazu tendiert, außergewöhnliche Bewusstseinszustände mit unterdrückender Medikation zu behandeln. Die Herausgeber weisen aber auch auf die Gefahr hin, pathologische Zustände zu spiritualisieren und glorifizieren oder ein organisches Problem zu übersehen. So betonen sie mehrfach die Notwendigkeit, eine exakte Diagnose zu erstellen, um spirituelle Krisen von biologisch verursachten Krankheiten abzugrenzen, die dringend einer medizinischen Behandlung bedürfen.
Das vorliegende Buch liefert einen breiten Überblick über das Thema und versammelt Beiträge von verschiedenen Autoren aus den unterschiedlichsten spirituellen Richtungen. Allen gemein ist ein neues Verständnis von ungewöhnlichen Erfahrungen und der Glaube an ihr positives Potenzial sowie die konstruktive Art, mit diesen Krisen zu arbeiten und sie zu erforschen. Die Beiträge sind interessant und informativ mit vielen Beispielen und Zitaten berühmter spiritueller Lehrer, etwa Chogyam Trungpa Rinpoche, Gandhi oder Meister Eckhard.
Besonders erwähnenswert ist auch der Beitrag von Roberto Assagioli, der ausführlich auf das Auftreten und die Natur der spirituellen Krisen eingeht. Er unterscheidet drei Phasen: Krisen, die dem spirituellen Erwachen vorausgehen, die durch das spirituelle Erwachen ausgelöst werden, Reaktionen auf das spirituelle Erwachen und Phasen des Prozesses der Verwandlung.
Eher eine Außenseiterposition dagegen nimmt der schottische Psychiater R. D. Laing ein. Für ihn sind selbst Psychosen nichts als gestörte Muster menschlicher Kommunikation und ihm erscheint die Gesellschaft als "gefährlich verrückt". Welche Formen spirituelle Krisen annehmen können, wird sehr gut dargestellt in den Beiträgen von Holger Kalweit und Lee Sanella. Kalweit berichtet anschaulich über Initiationsprozesse im Schamanismus, während Lee Sanella das Erwachen der Kundalini beschreibt. Das Erwachen der Kundalini ist wohl eine Krisen, die am häufigsten im SEN gemeldet wird. Sie kann relativ leicht erkannt werden.
Ein weiteres Highlight des Buches sind die Beiträge von Jack Kornfield und Ram Dass. Sie beschreiben Fragen und Hindernisse, denen ein Übender auf dem spirituellen Weg in seiner Praxis voraussichtlich begegnet, die vielfältigen Versprechen und Missverständnisse. So geht es nach Ram Dass in der Praxis vor allem um Selbst-Aufgabe und er meint: "Erleuchtung ist für das Ego die letzte große Enttäuschung."
Über die Theorie hinaus findet man auch ganz konkrete Hilfsmöglichkeiten in dem Buch. Eine davon ist das Netzwerk SEN, welches im letzten Teil näher vorgestellt wird. Es will Menschen in spirituellen Krisen weltweit Information und Unterstützung bieten.
Das Buch ist ein Muss für jeden Menschen auf dem spirituellen Weg. Es ist unerlässlich für diejenigen, die sich bereits in spirituellen Krisen befinden, aber auch für deren Angehörige und Freunde, Pfarrer, Therapeuten und Ärzte von großem Nutzen. Es fordert auf, spirituelle Krisen als Wachstums- und Transformationsprozesse anzuerkennen und Menschen einen sicheren Rahmen zu schaffen, um ihre Prozesse zu erleben. Und nicht zuletzt, sie trotz ihrer vorübergehenden Andersartigkeit in die Gemeinschaft zu integrieren, da die Prozesse auch ohne das Abgetrenntsein und Ausgeschlossensein von anderen schon schmerzhaft genug sind.