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Siegfried. Der Ring der Nibelungen. Wagner. Schlagworte, die jedem Historiker, Opernfreund oder Liebhaber mittelhochdeutscher Texte das Herz überfließen lassen. Viele Comicfans werden vielleicht eher das Grausen kriegen, wenn sie diese Begriffe lesen. Doch der Name Alex Alice, der auf dem Cover des neuesten Fantasy-Albums über einem ziemlich düster dreinblickenden Jüngling steht, lässt aufhorchen. Dieser Ausnahmekünstler hat mit "Das dritte Testament" eine Comic-Trilogie erschaffen, die auch fast ein Jahrzehnt nach ihrem Erscheinen noch in aller Munde ist. Und dieser begnadete Illustrator nimmt sich dieses Heldenstoffes aus dem düsteren Mittelalter an? Dieses abgegrasten, wiedergekäuten und immer wieder hervorgeholten Rachedramas?
Einst schuf Odin einen Klumpen Gold, dem absolute Macht innewohnt. Doch sein Besitzer muss auf ewig der Liebe entsagen. Er versenkte das Gold im tiefsten Meer und ließ seine Tochter als Wächterin zurück. Fafnir vom Stamme der Nibelungen, in Liebe zu der Schönen entbrannt, umkreiste lange Gold und Frau. Er raubte jedoch das Macht verheißende Stück Metall, als sich seine Angebetete einem Sterblichen, einem Menschen, hingab.
Er brachte das Gold zu Mime, dem besten Schmied der Nibelungen, und ließ ihn einen Ring daraus schmieden. Doch der Verrat Mimes kam die Nibelungen teuer zu stehen. Ihre unterirdischen Gewölbe stürzten ein, ihr Schicksal hieß Verbannung und Zerstreuung in alle vier Himmelsrichtungen. Mime aber richtete all sein Trachten darauf aus, den Verräter Fafnir, der auch den Schmied betrogen hatte, zu richten. Doch wie? Der mächtige Nibelung verwandelte sich unter der Wirkung das Goldes zu einem grausamen und unbesiegbaren Drachen, der in der Tiefe der dunkelsten Höhle allein mit seiner Macht entschwand.
Mime zieht fort, und weit jenseits der Berge, sogar jenseits des verbotenen Waldes beginnt er mit seinem Ränkespiel, an dessen Ende Fafnirs Tod stehen soll. Als Werkzeug dient ihm ein Menschenkind, das ihm auf seiner Flucht anvertraut wird. Der Junge ist just die Frucht der verbotenen Liebe von Odins Tochter zu einem Menschen. Gerichtet vom Gottvater selbst und all ihrer Macht und Unsterblichkeit beraubt, verpflichtet sie sterbend Mime zu einem Versprechen. Er soll ihren Sohn Siegfried ohne die Götter und die Furcht vor ihnen erziehen. Doch der verräterische Mime hat seine eigenen Pläne mit dem Kind. In seinen Händen soll er zu einem Drachentöter heranwachsen, der für Mime den Ring Fafnirs erkämpft.
Schon auf den ersten Seiten reibt sich der Leser die Augen. Ist dies "Siegfried", die Sage um das Leben des mächtigen Drachentöters, oder ein Fantasymärchen, in dem Wesen, die an Zwerge, an "Der dunkle Kristall" des Muppet-Schöpfers Jim Henson oder an Gollum aus dem "Herrn der Ringe" erinnern, durch dunkle Wälder schleichen? Ist dies die berühmte Nibelungensage oder ein Ableger des Dschungelbuchs - denn die ersten Bilder des kleinen Siegfried, wie er mit Wölfen spielend durch den Schnee tollt, erinnern stark an Disneys Kinderfilm.
Doch die fantastischen Illustrationen Odins, Fafnirs und des Verrats an den Nibelungen nehmen gefangen, fesseln und begeistern nahezu jeden Betrachter. Atemberaubend schöne Bilder, grandiose Settings, wundervolle Ansichten einer tief verschneiten Welt und ein sich sehr stark zurücknehmender Erzähler machen schnell klar, dass hier ein Künstler am Werk war. Ein Zeichner, der das alte Gewand der Saga verlässt und behutsam modernisiert, der das Verstaubte liegen lässt und neue Ideen einbaut, die der Geschichte Sinn, Größe und Faszination verleihen.
Alex Alice ist ein wahrer Bilderrausch gelungen, der "Siegfried" zu einem wundervollen Fantasymärchen mutieren lässt. Doch auch der Tiefgang, die Tragik und Weisheit der nordischen Vorlage spiegeln sich in vielen Details, dem knappen Text und unzähligen Anspielungen wider.
Hier ist ein Comic-Band entstanden, der dank der exzellenten Druckqualität des Splitter-Verlags, des herrlich großen Formats des Bandes und des enormen Umfangs von über siebzig Seiten, vor allem aber dank seiner Bilder Geschichte schreiben wird - auch wenn man die eigentliche Sage rund um Siegfried erst in den Bänden zwei und drei erleben darf. Auf dieses Ereignis aber wird sich jeder Leser des ersten Teils freuen, ja, es herbeisehnen.
Ob man das auch von dem geplanten - und in Arbeit befindlichen - Zeichentrickfilm sagen kann, sei dahingestellt. Ein Trailer existiert bereits, unverkennbar auf dem Artwork von Alex Alice fußend, wirkt er aber noch ein wenig kitschig und naiv.