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Dem Horrorgenre haftet der scharfe Geruch von Populär-, nicht selten gar Trivialkultur an. Der Einkauf in einem x-beliebigen Buchgeschäft zeigt auch, weshalb: Gänsehaut-Literatur aus der Feder eines Stephen King oder Dan Simmons befindet sich zumeist in gemütlicher Gesellschaft von aufgedunsenen Fantasy-Wälzern, quantitativ hochwertigen SF-Bänden und auf Unterhaltung abzielender Krimi- oder Thrillerliteratur, doch im Regal der hohen Literatur wird man vergeblich nach einem schaurigen Roman zwischen Thomas Mann und Friedrich Dürrenmatt suchen. Hinsichtlich des Horrorfilms mitsamt all seinen Subgenres zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Und doch (oder gerade deshalb?) haben sich die Kultur- und Sozialwissenschaften in den letzten Jahren verstärkt mit dem Phänomen Horror auseinandergesetzt, akademische Schriften über den Splattermovie sind ebenso anzutreffen wie über die Kunstfigur des Vampirs. Dieser Richtung leistet der von Claudio Biedermann und Christian Stiegler herausgegebene Sammelband "Horror und Ästhetik" weiteren Vorschub - und trägt zugleich dem unglaublichen Facettenreichtum dieses ach so trivialen Phänomens Rechnung.
Sämtliche im vorliegenden Buch versammelten Aufsätze bewegen sich entlang der Annahme, dass Horror nicht nur als geschlossene Gattung gedacht werden kann, sondern vielmehr "als strukturelles, ästhetisches Grundprinzip", wie es die Herausgeber knapp und präzise bekunden. Diese Prämisse erlaubt einen "anderen" Blick auf die Erscheinung des Horrors: Wie wird Horror in den unterschiedlichen Medien konstruiert? Wie gestaltet sich eine Performance des Horrors? Anhand solcher und ähnlicher Fragestellungen versuchen die Autoren, dem Leser repräsentative Aspekte einer Ästhetik des Horrors zu offerieren und gleichzeitig auf den allem Anschein nach unbegrenzten Reichtum einer solchen hinzuweisen. Diesem versuchen die Autoren gerecht zu werden, indem ihre Thesen am Beispiel der unterschiedlichsten Ausformungen von Horror belegt werden.
So nimmt sich der Wiener Filmwissenschaftler Thomas Ballhausen etwa Michael Powells "Peeping Tom" (1960) an und fragt ausdrücklich nach der Rolle von Archiv und Gedächtnis. Marcus Stiglegger greift in seinem Aufsatz "Humantransformationen - das Innere Biest bricht durch" die Thematik der Verwandlung im Horrorfilm auf und untersucht diese am Beispiel des Werwolffilms nach Merkmalen einer Ästhetik des Schreckens, während Julia Köhne sich mit der Rolle von Blut und Blutrepräsentation in Brian de Palmas "Carrie" (1976) beschäftigt. Der Film spielt auch im Beitrag von Stefan Höltgen eine nicht unwesentliche Rolle, geht er doch auf die medialen und speziell die filmischen Ausformungen des realen Falls des "Kannibalen von Rothenburg" ein; aber auch im Aufsatz von Drehli Robnik, der den postfordistischen Horrorfilm mit den Theorien eines Walter Benjamin zu interpretieren sucht, dreht sich alles ums Kino. Zwei außergewöhnliche, bisher kaum beachtete Beispiele einer literarischen Ästhetik des Horrors liefern die beiden Wiener Literaturwissenschaftler Roland Innerhofer und Michael Rohrwasser: Ersterer beschäftigt sich mit dem Motiv (un)toter Erscheinungen in Elfriede Jelineks "Die Kinder der Toten", während letzterer die Romane rund um Dr. Mabuse und deren Verfilmungen nach Tendenzen des Schreckens abklopft. Einen der absoluten Höhepunkte der vorliegenden Sammlung bildet der - leider allzu kurz geratene - Aufsatz von Christian Stiegler, welcher den Fokus auf die Performance von Atmung in Literatur und Film im Spiegel einer Ästhetik des Horrors legt. Als wohl prominenteste Figur des Schreckens darf der Vampir natürlich nicht fehlen: Die Soziologinnen Grit Grünewald und Nancy Leyda gehen der vampirischen Inszenierungspraxis innerhalb der Schwarzen Szene auf den Grund, während eine Studierendengruppe der medizinischen Seite des historischen Vampirismusdiskurses und dem Verhältnis von fiktionaler Existenz der Blutsaugern und ihren medizinischen Erklärungsversuchen in Literatur und Film nachgehen. Der Vermählung von Queer und Horror in der LGBT-Horrorliteratur (LGBT = "LesbianGayBisexuellTransgender") wird ebenso Respekt gezollt wie den unterschiedlichen Theorien zur phantastischen Literatur. Mit der Diabolisierung der Zigeunerfigur von Victor Hugo bis Stephen King widmet sich Hans Richard Brittnacher einer Thematik, welche zwei seiner interessantesten Forschungsschwerpunkte in sich vereint. Den Abschluss bilden eine Behandlung der Angst in der mittelhochdeutschen Erzählliteratur und Franz Rottensteiners knappe Untersuchung einer gegenseitigen Beeinflussung von Science Fiction und Horror.
Der vorliegende Band will keine Einführung in die Ästhetik des Horrors sein, sondern vielmehr, wie bereits angesprochen, dieses Grundprinzip anhand unterschiedlichster Facetten darlegen. Egal ob einzelne Filme explizit nach bestimmten Motiven durchleuchtet oder Bilder aus mehreren Jahrzehnten Horrorliteratur und -film herauskristallisiert werden, ob es um den Werwolf im B-Movie oder den Ritter und seinen Umgang mit Furcht in der Artus-Sage geht - die Vielfalt, welche eine solche Sichtweise von Horror mit sich bringt, spiegelt sich erstklassig im breit gefächerten Themenspektrum wider.
Naturgemäß bringt eine Sammlung von Beiträgen unterschiedlicher Verfasser unterschiedliche qualitative Merkmale mit sich. So sind etwa die Fragestellung und ihre Ausarbeitung in Thomas Ballhausens Aufsatz zwar klar erkennbar, doch leider fällt der Konnex öfters in den Hintergrund. Auch der Beitrag von Drehli Robnik stellt sich nicht gerade als spannende Lektüre heraus, im Gegensatz dazu ist etwa jener über den "Kannibalen von Rothenburg" dank transparentem Aufbau und angenehmem Stil leicht zu verdauen. Neben den Aufsätzen von Innerhofer und Rohrwasser ist es vor allem Stieglers Beitrag über die Atmung als performativer Akt im Horror, der durch originelle Themenfestlegung, interessanten Erkenntnisgewinn und gelungene Präsentation besticht; hoffentlich verfolgt Stiegler diese Thematik weiter.
Mit "Horror und Ästhetik" legen Claudio Biedermann und Christian Stiegler eine äußerst interessante und lesenswerte Sammlung wissenschaftlicher Beiträge zu einer immer noch als unseriös verschrienen Erscheinung vor, die mit attraktiver Themenvielfalt ebenso zu punkten wie mit jämmerlichem Lektorat zu enttäuschen weiß.