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Wir alle entwickeln uns: Wir werden geboren, sind abhängig von der Liebe und Fürsorge unserer Eltern und im besten Fall sind wir irgendwann in der Lage unser Leben selbst zu bestreiten, Kinder zu bekommen und für diese so zu sorgen, dass sie wiederum in die Lage versetzt werden, ihr Leben selbst zu bestreiten. Doch was ist nötig, damit dies eintritt? Menschliche Entwicklungsverläufe sind einerseits vielfältig, andererseits jedoch von wiederkehrenden Mustern und Erscheinungen geprägt. Wie diese Muster aussehen und wie sie mit Entwicklung zusammenhängen, versuchen psychologische Entwicklungstheorien zu ergründen und zu erklären. Im Hans Huber Verlag erschienenen Lehrbuch "Entwicklungstheorien. Psychologische Theorien menschlicher Entwicklung" werden in neunzehn Kapiteln fünfzehn von ihnen vorgestellt.
Im ersten Kapitel befasst sich der Autor nicht nur mit dem Begriff "Entwicklung", sondern stellt zudem Kriterien vor, die er an alle hier vorgestellten Theorien angelegt. Kapitel zwei befasst sich mit der allgemeinen "Kontroverse um die Anlage- und Umwelteinflüsse auf die Entwicklung". Die im Anschluss vorgestellten Theorien umfassen die eher extremen Positionen der endogenistischen Theorien, die Entwicklung als einen Entfaltungsprozess betrachten, der aus dem Inneren des Organismus gesteuert wird, und der exogenistischen Theorien, die Entwicklungsveränderungen vor allem als Folge von Umweltbedingungen verstehen. Beides sind heute eher überholte Auffassungen.
Flammers Aufbau orientiert sich an der zeitlichen Entstehung der Theorien. Den beiden genannten Theorien folgt die psychoanalytische Theorie, die eine Phasentheorie ist und von Sigmund Freud begründet wurde. Andere Psychoanalytiker haben an dieser Theorie Änderungen und Erweiterungen vorgenommen, wobei Erik H. Eriksons in seiner Theorie der psychosozialen Entwicklung aus Freuds fünf Phasen acht Stufen macht und zudem jede Stufe auf zehn Dimensionen beschreibt.
Eriksons Theorie wird aufgrund ihrer Bedeutung innerhalb der Entwicklungspsychologie in einem eigenen Kapitel dargestellt. Die humanistische Psychologie hat keine detailliert ausgearbeitete Entwicklungstheorie vorgestellt, Flammer stellt jedoch Entwicklungsmechanismen vor, die in der humanistisch orientierten Literatur beschrieben wurden. Piaget wird besonders viel Platz eingeräumt, so ist seiner Stufentheorie, nach der auf drei Repräsentationsstufen die Kompetenz zum reversiblen Umgang mit der Welt erworben wird, natürlich ein eigenes Kapitel gewidmet. Dazu jedoch gibt es noch ein Kapitel zur kritischen Auseinandersetzung mit Piagets Theorie. Außerdem werden Kohlbergs Theorie der Entwicklung des moralischen Urteils, Fischers Theorie der Fertigkeitsentwicklung und Cases Theorie der Entwicklung der Problemlösefähigkeit, die alle drei nach dem Vorbild Piagets entstandene Theorien zu einzelnen Funktionen sind, in je eigenen Kapiteln besprochen und zeugen damit von der Bedeutung, die Piagets Theorie als Inspirationsquelle für andere Wissenschaftler hatte.
Im anschließenden Kapitel dreizehn wird Entwicklung als dialektischer Prozess betrachtet, im vierzehnten Kapitel wird die ökologische Entwicklungstheorie von Urie Bronfenbrenner vorgestellt, in der der Mensch vor allem ein soziales Wesen und innerhalb des sogenannten ökologischen Systems Rollenträger ist. Die ökologische Psychologie ist weitgehend bereits systemisch, jedoch werden rein systemischen Ansätzen in der Entwicklungstheorie ein eigenes Kapitel gewidmet, bevor Entwicklung als kontrollierte Handlung betrachtet wird und schließlich physiologisch inspirierte Entwicklungstheorien vorgestellt werden. Gegenwärtig ist die Entwicklungspsychologie mehr auf einzelne Funktionsbereiche oder Phänomene konzentriert. Das vorletzte Kapitel befasst sich mit drei Theorien zur Identitätsentwicklung und schließt damit die Vorstellungen der verschiedenen Entwicklungstheorien ab. Im letzten Kapitel fragt der Autor ein wenig provokativ, welche Theorie die beste sei und schaut, welche Theorien mehr die Bedingungen, die Mirkoprozesse oder die Organisationsprozesse im Blick haben.
Mit "Entwicklungstheorien" liegt ein gelungenes Lehrbuch vor, das theoriegeleitet in die Entwicklungspsychologie und ihren historischen Verlauf einführt. An jede der Theorien legt der Autor August Flammer eine Art Kriterienkatalog an, mit dem er sieben Kriterien abfragt und diese im letzten Teil jedes Theoriekapitels beantwortet: Was für ein Menschenbild liegt der Theorie zugrunde? Welche Phänomene, welche Entwicklungsrichtung und was für Entwicklungsprozesse und -motoren werden beschrieben und welche Lebensspanne wird umfasst? Was für Möglichkeiten gezielter externer Beeinflussung werden gesehen und wie hat sich die Theorie in der Praxis beziehungsweise Empirie bewährt? Mit diesen Kriterien gibt er Studierenden ein Hilfsmittel an die Hand, sich mit den Theorien auseinanderzusetzen und sie unter bestimmten Gesichtspunkten beziehungsweise Fragestellungen zu lesen. Damit führt er nicht nur in die psychologischen Entwicklungstheorien ein, sondern zugleich in wissenschaftliches Arbeiten, bei dem die Auseinandersetzung mit Theorien ein wesentlicher Bestandteil ist. Da die Theorien weitestgehend chronologisch angeordnet sind, ist es für den Leser zusätzlich leichter, Verknüpfungen zwischen den Theorien zu erkennen.
Ein didaktisch gut und sinnvoll strukturiertes Lehrbuch, das verschiedene Theorien zur Entwicklungspsychologie in je eigenen Kapiteln vorstellt und so hervorragend in das Fachgebiet einführt.