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 Zwischenland

Autoren: Toni Sala
Übersetzer: Monika Lübcke
Verlag: A1 Verlag

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Das Schicksal ändert oft ohne Ankündigung seine Richtung. Es ist ein ganz normaler Februarabend in einem Vorort von Barcelona. Die letzten Pendler kommen aus der Stadt und eilen nach Hause. Nur ein Mann um die vierzig, Barbesitzer in der zweiten Generation, lässt sein Handy auf die Gleise fallen und besteigt die S-Bahn. In seiner Tasche befindet sich das Wechselgeld des vergangenen Tages und eine geheimnisvolle Skizze. Er verlässt seine Welt, die bisher aus Meer, Sand, Gleisen, dem Bahnhof und ein paar Häusern bestand, einem Tresen und seinen Stammgästen, und macht sich auf den Weg. Ohne Schlüssel und ohne Handy fühlt sich seine Tasche angenehm leicht an.

Erst einige Tage zuvor wurde er Zeuge eines Gesprächs, in dem von Gemälden und einem Leuchtturm die Rede war. Zwei unbekannte Männer hatten sich in der hintersten Ecke seiner Bar niedergelassen, ganz in der Nähe der Spielautomaten. Während sie lebhaft diskutierten, zeichnete der eine den Grundriss eines Hauses und einen Leuchtturm auf eine Papierserviette, die er dann achtlos wegwarf ...

Mit "Zwischenland" liefert Toni Sala einen literarischen Thriller der besonderen Art.

Der katalanische Autor, der als Schriftsteller und Journalist tätig ist, veröffentlichte bislang Romane, Erzählungen und Reiseberichte. Die Qualität seiner Arbeit zeigt sich auch darin, dass seine Werke bereits mehrfach Auszeichnungen erhielten. So bekam auch dieser außergewöhnliche Roman gleich zwei der angesehensten Literaturpreise Kataloniens: dem Sant-Joan-Preis und dem Nationalpreis für katalanische Literatur.

Mit fast mikroskopischer Genauigkeit und Sachlichkeit entwickelt Toni Sala seine Geschichte. Dabei fragt man sich, wie es ihm gelingt, bei so viel banalem Alltagsgeschehen und Akribie bis zum Schluss der Geschichte eine subtile Spannung aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Man fühlt sich beinahe in die Gestalt des Protagonisten hinein versetzt und betrachtet das Geschehen und die Situation mit dessen Augen, fühlt den wattigen und feuchten Nebel auf der Haut. Die Tristesse, Hoffnungslosigkeit und immer wiederkehrende Eintönigkeit von einem der vielen namenlosen Vororte mit seinen belanglosen Bewohnern teilen sich unmittelbar mit.

Toni Sala verfügt über eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und er versteht es, sie in Worte zu fassen und den Leser daran teilhaben zu lassen. Man wird geradezu süchtig danach, auch noch das allerletzte Detail zu erfahren: ein breiter Kiesweg, gepflegte Gewächse, knospende Rosensträucher mit dicken, dunklen Stämmen, Dornen wie Zähne, ein Swimmingpool, das Wasser mit einer blauen Folie abgedeckt. Der Autor erzeugt fotografisch exakte Bilder vor dem Auge des Lesers.

Der Titel ist mit "Zwischenland" sehr treffend überschrieben, bekommt die Erzählung doch immer wieder etwas fast Surreales und bewegt sich im Raum zwischen verschiedenen Realitäten. Die Geschichte spielt in einem Vorort, einem Randgebiet, nicht mehr richtig Großstadt und auch noch nicht die Erholungslandschaft des Meeres, am Rande von Autobahnen, unter Betonbrücken, Niemandsland, Zwischenland. Toni Sala siedelt dort einen Menschen an, der plötzlich sein Leben ändert. Geschieht es durch ein unerwartetes Ereignis oder ist einfach der Zeitpunkt erreicht, wo es so wie bisher einfach nicht mehr weitergeht. Davon erfährt der Leser nichts. Es ist das Leben eines Menschen, das bisher in den geordneten Bahnen eines mausgrauen Alltags verlief. Die Bar, die er besitzt, wurde an ihn vererbt, die Wünsche und Lebensziele des Protagonisten sind unklar. Er ist verheiratet und sein Leben plätschert zwischen Bar und Wohnung dahin, ein bisschen Aufregung verschaffen Affären mit weiblichen Gästen von Zeit zu Zeit.

Es scheint ein fremdbestimmtes, ein verordnetes Leben zu sein, das sich irgendwie ereignet, und die Hauptfigur bekommt stellenweise fast etwas Marionettenartiges. Eine Puppe, die plötzlich ein Eigenleben bekommt, verstört und störrisch, und versucht die Fäden selbst in die Hand zu nehmen, auch dies fast wie in Trance. Diesem Ansinnen stellen sich die Ereignisse des Lebens immer wieder entgegen und vereiteln jeden Versuch zum eigenverantwortlichen Leben. Das Leben des Protagonisten wird von den Umständen bestimmt, den Menschen, die ihm begegnen. Er trifft eine Frau, deren Leben genauso zu verlaufen scheint, deren Körper von anderen käuflich erworben, benutzt und verbraucht wird, der es gelingt sich zu lösen, nur um dann dem Nächsten hinterher zu laufen. Ohne Ziel treiben die Hauptfiguren hierhin und dorthin, unentschlossen und inkonsequent. Dann und wann gelingt es, das Steuer noch einmal in die Hand zu nehmen, nur um zu Erleben, wie der Wagen ungebremst einen Abhang hinunter saust. Am Ende geht dem Protagonisten ganz der Sprit aus auf dem Weg in sein neues Leben und er ist wieder nur der Beobachter und Statist im Leben anderer. Das Buch schließt lakonisch mit dem Satz: Der Tank ist leer.

Toni Sala liefert mit "Zwischenland" einhundertsechzig Seiten gute und spannende Unterhaltung, die zum Nachdenken anregt und bei der sich jede Seite zu lesen lohnt.

Sabine Seip



Hardcover | Erschienen: 01. August 2008 | ISBN: 9783940666055 | Originaltitel: Rodalies | Preis: 18,40 Euro | 200 Seiten | Sprache: Deutsch

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