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 Goodbye Istanbul

Autoren: Esmahan Aykol
Übersetzer: Antje Bauer
Verlag: Diogenes

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Als Ece in London eintrifft und bei ihrer dort lebenden Cousine einzieht, verliert sie rasch einige Illusionen. Vor allem erfährt sie, dass die Fotos von nach London ausgewanderten Verwandten und Bekannten, die diese vor noblen Autos und schicken Villen zeigen, keineswegs die wahren Besitzverhältnisse wiedergeben. Wie die meisten Einwanderer beginnt Ece als Tellerwäscherin in einem Imbiss und besucht nebenher eine Sprachenschule.
Ece hat Istanbul verlassen, um zu vergessen: nicht nur ihre Familie, das heißt, ihre jede auf individuelle Art unglücklichen Schwestern, die farblose Mutter und den tyrannischen Vater, sondern vor allem Tamer. Sie hat Tamer sechs Jahre lang geliebt und vergeblich gehofft, er würde seine Frau für sie verlassen; Tamer war ihr erster und einziger Geliebter.
In London möchte Ece die Erinnerungen an Tamer ausrotten. Dabei helfen ihr andere Erinnerungen, jene an ihren Großvater, einen vordergründig sonderbaren Kauz, mit dem sie bis zu seinem Tod eine innige Liebe verband. Der Großvater hat ihr heimlich den Löwenanteil seines Vermögens vermacht. Sein eigentliches Vermächtnis an Ece stellen jedoch seine Geschichten dar, die er ihr nach und nach erzählt hat: dramatische Erinnerungen an das Schicksal seiner eigenen - armenischen - Familie, einschneidende zwischenmenschliche Erfahrungen, ebenso allerdings ein umfangreicher Schatz an volkstümlichen Sagen und Erzählungen. Ece erzählt diese Geschichten ihrer zunächst wenig empfänglichen Cousine, damit sie in einem weiteren Gedächtnis verankert sind, falls sie Eces Versuchen, zu vergessen, zum Opfer fallen sollten.
Ece lernt mit der Zeit, Vergessen und Erinnern so einzusetzen, wie sie es braucht. Sie öffnet sich anderen Menschen, die alle ihre eigene unbewältigte Vergangenheit nach London mitgenommen haben und nicht so recht wissen, was sie dort eigentlich wollen. Dank den Lebenserfahrungen ihres Großvaters und mithilfe seines sorgsam angelegten Vermögens findet Ece jedoch einen Weg für sich. Und langsam wächst in ihrem Herzen Platz für eine mögliche neue Liebe.

Esmahan Aykol hat sich mit ihren spritzig-humorvollen Kriminalromanen um eine in Istanbul lebende deutsche Buchhändlerin bereits eine begeisterte Lesergemeinde geschaffen. Mit "Goodbye Istanbul" weicht sie von diesem Erfolgskonzept ab und präsentiert einen Liebes- und Entwicklungsroman, in dem es unter anderem auch um Immigration und das schwierige Verhältnis der Türken zum Genozid an den Armeniern geht.
Damit stellt die Autorin hohe Ansprüche an sich selbst, und der begeisterte Leser ihrer Krimis greift vielleicht mit etwas Skepsis zu diesem Buch - einer Skepsis, die Esmahan Aykol rasch auszuräumen weiß. Wenngleich sie keine "leichte Muße" anbietet, weiß Aykol auch mit diesem Roman zu unterhalten, wozu ihre wunderbare Fähigkeit zu kurzweiligem, doch nicht ausschweifendem Fabulieren beiträgt, ebenso jedoch auch ihre Bereitschaft, sich auf die unterschiedlichsten Themen einzulassen, ohne dabei den roten Faden zu verlieren.
Dieser rote Faden besteht nicht nur aus Eces Weg von einer in ihrem Liebesunglück Gefangenen hin zu einer Frau, die beginnt, ihre Zukunft aktiv zu gestalten, statt sich von Illusion zu Illusion - und von Enttäuschung zu Enttäuschung - treiben zu lassen, sondern auch aus der Erkenntnis, wo uns Erinnerung und wo uns Vergessen zugute kommen, und wie wir beides bewirken können.
Es gibt in diesem Roman keine rasante Handlung, sehr wohl jedoch Entwicklungen. Vor allem weiß Esmahan Aykol auf ganz besondere Weise zwischenmenschliche Beziehungen auszuleuchten, allen voran die Bande zwischen Großvater und bevorzugter Enkelin, eindrucksvoll freilich auch die unglückseligen Verbandelungen innerhalb von Eces Kernfamilie und die fatale Liebe zu Tamer, der mit seiner Ehefrau offensichtlich nicht recht glücklich ist, Ece letztlich jedoch nur benutzt. Einen echten Zauber strahlt die äußerst sensibel dargestellte, langsam aufblühende Zuneigung Eces zu einem "neuen" Mann aus.
Sehr gut schildert Esmahan Aykol zudem die Diskriminierung der in ihren meistens "schwarzen" Jobs für das Gastland durchaus nützlichen Immigranten durch die alteingesessene Bevölkerung Londons.
Schmerz und Hoffnung, Gesellschaftskritik und individuelles Schicksal werden hier ausgewogen in einem erzählerisch hervorragend konzipierten Roman zusammengeführt. Das offene Ende macht neugierig auf eine Fortsetzung.

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 01. Oktober 2008 | ISBN: 9783257237801 | Originaltitel: Savrulanlar | Preis: 9,90 Euro | 356 Seiten | Sprache: Deutsch

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