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Eine "etwas holzschnittartige" Vereinfachung, so schreibt der Autor, sei aus Gründen der Darstellung geboten. Der Autor, Volker Kruse, Professor der Soziologie in Bielefeld, schreibt über die Geschichte der Soziologie.
Das Buch ist in fünf Kapitel eingeteilt. Was lehren sie uns? Zunächst gibt das erste Kapitel einen schlaglichtartigen Abriss der historischen Soziologie und bereitet damit die anderen Kapitel vor, die die verschiedenen Strömungen und Vordenker ausführlicher vorstellen.
Den ersten, frühen Soziologen gilt das zweite Kapitel. Auguste Comte, von dem das Wort Soziologie stammt, wird vorgestellt; ebenso Herbert Spencer, der seine Renaissance hundert Jahre später erlebte. Comte hat mit seiner positivistischen Ausrichtung der Gesellschaftswissenschaft maßgeblich das methodische Denken beeinflusst. Doch genauso hat Spencer mit der Betonung des Funktionalismus wesentliche Grundzüge der Logik gelegt. Der dritte Platz in diesem Bunde wird von Marx und Engels belegt. Ihr Verdienst ist es, die Soziologie auf ihre idealistischen Selbstblindheiten hingewiesen zu haben. Die radikale Wende, die gerade durch den wissenschaftlichen Sozialismus eingeleitet wurde, lag weniger im eigentlich methodischen Bereich, als darin, diese Ansätze systematischer als zuvor zu durchdenken. Niklas Luhmann hat in seinem Buch "Die Wissenschaft der Gesellschaft" geschrieben, dass die Soziologie als soziales Phänomen sich selbst beschreiben können müsse. Marx und Engels haben hier, neben anderen theoretischen Fortschritten, Pionierarbeit geleistet.
Die großen Pioniere waren Privatgelehrte. In der zweiten, folgenden Soziologengeneration wurde die Anerkennung der Soziologie als Wissenschaft erstritten. Dies behandelt das dritte Kapitel. In Frankreich wurde die Disziplin von Emile Durkheim an die Universitäten gebracht. Seine Studien zur Arbeitsteilung und zum Selbstmord waren maßgeblich für das Fach. Ebenso einflussreich war die Chicagoer Schule um George Herbert Mead, die man heute vor allem unter dem Namen Symbolischer Interaktionismus kennt. Von ihr wurden zahlreiche Interaktionsforscher geprägt, unter anderem Erving Goffman. Weniger bekannt ist die italienische Elitensoziologie, die einen schwierigen politischen Stand hatte, nicht weil sie sich gegen den italienischen Faschismus gestellt hat, sondern weil sie sich so leicht hat von diesem missbrauchen lassen. Niklas Luhmann hat gegen Habermas einmal eingewendet, wie man sechs Milliarden Menschen in einen herrschaftsfreien Diskurs bringen wolle, und dass allein die schiere Anzahl die Selektion erzwinge. Diese Aussage wurzelt in der Soziologie der Eliten. Eliten sind nicht besser. Ihr Vorteil ist die kompaktere Interaktion und die Möglichkeit, sich gegen demokratische Ansprüche abzugrenzen. Die italienischen Soziologen haben dies eher als unumgänglich angesehen denn als gut. Viele von ihnen wurden als Personen dem italienischen Regime unbequem.
Das dritte Kapitel befasst sich natürlich auch mit der deutschen Soziologie in ihren akademischen Anfängen. Der Nationalökonom Max Weber gehört dazu, und natürlich Ferdinand Tönnies und Georg Simmel. Ihnen sind umfangreiche Abschnitte gewidmet. Während der Weimarer Republik differenzierte sich die Soziologie weiter aus. Zwei prominente Vertreter der deutschen Wissenssoziologie, Karl Mannheim und Max Scheler, werden vorgestellt. Während der Weimarer Republik zeigte sich zudem ein enormes Interesse an den krisenhaften Entwicklungen der Gesellschaft. Zahlreiche Soziologen forschten und publizierten ihre Ergebnisse. Der Autor stellt einige prominentere Vertreter vor.
Dies muss natürlich auch im Umfeld des vierten Kapitels gesehen werden. Dieses behandelt die Zeit von 1933 bis 1950. Die Soziologie war teilweise von völkischen und rassischen Gedanken durchzogen. Zahlreiche deutsche Soziologen gingen, da sie Juden waren, ins amerikanische Exil. Am Beispiel von Norbert Elias verdeutlicht der Autor den Lebensweg eines deutschen Soziologen. Schließlich wurde in dieser Zeit durch Talcott Parsons der funktionalistische und systemische Ansatz zu einer treibenden Kraft. Er ist heute, wenn auch meist in den Luhmannschen Modifikation, nicht aus der Soziologie wegzudenken.
Das fünfte Kapitel stellt die (deutschen) Nachkriegssoziologen vor. Die sehr populäre empirische Forschung kann man als mittelbare Fortsetzung des Positivismus von Auguste Comte ansehen, so wie der Parsonssche Funktionalismus mittelbar die Soziologie Spencers beerbt. Marx und Engels Erben findet man in der Kritischen Theorie mit ihren immer noch sehr prominenten Vertretern, Kracauer, Benjamin, Adorno, Horkheimer, Marcuse. Berühmt geworden ist die Auseinandersetzung zwischen den an empirischen Einzelproblemen orientierten Soziologen und der kritischen Betrachtung der gesamten Gesellschaft im sogenannten Positivismusstreit.
Abschließend wirft Kruse einen kurzen Blick in die Gegenwart der Disziplin.
Kruse schafft mit diesem Buch einen breit angelegten und - wie angekündigt - holzschnittartigen Überblick über das Fach. Prominente Vertreter werden von ihm aber nicht nur als geniale Vordenker verstanden, sondern als Kinder ihrer Zeit. Dadurch gelingt es ihm, die vielfältigen Verknüpfungen zwischen der fachlichen Entwicklung und den gesellschaftlichen Bedingungen zu verdeutlichen.
Die Kapitel sind streng und übersichtlich gegliedert. Wesentliche Begriffe werden präzise erläutert und meist so, dass die Definition als Zitat des betreffenden Soziologen eingefügt wird. Am Ende von Teilkapiteln und Abschnitten findet der Leser die Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte. So kann man sich zunächst rasch einen Überblick verschaffen, indem man diese Zusammenfassungen liest, sich dann ausführlicher mit den Kapiteln beschäftigen und - dies ist ja das eigentliche Anliegen des Autors - sich mit den Originaltexten der Soziologen auseinandersetzen.
Man kann ohne Umschweife sagen, dass dieses Buch ganz hervorragend ist. Man mag das eine oder andere vermissen, mit dem man sich schon länger auseinandergesetzt hat, bekommt dafür aber den Horizont auf Denker erweitert, mit denen man bisher noch nicht vertraut war. Einem Buch das Prädikat "easy reading" zu geben, bedeutet im Normalfall, es in die Unkultur populärwissenschaftlicher Halbbildung zu verdammen. Neben der umfangreichen Kenntnis des Faches sind es vor allem die übersichtliche, leserfreundliche Gliederung und der kristallklare Stil, die das Buch zu einem wirklichen Vergnügen machen. "Easy reading" darf man also durchaus sagen, nur mit Halbbildung hat dieses Buch nichts zu tun.