Neues zu entdecken, als Erster den Fuß auf ein unberührtes Stück unserer Welt zu setzen - das scheint in der Natur des Menschen zu liegen; Neugier, Abenteuerlust und Risikobereitschaft gehören zu unserer Spezies einfach dazu. Neben Meeren und Wüsten sind auch seit mehreren Jahrhunderten die Berge die sprichwörtlichen Spielwiesen von Abenteurern, Wissenschaftlern und Forschern. Die Geschichte des Alpinismus ist etwa zweihundert Jahre alt, zumindest was die einigermaßen zuverlässige Belegung mit Quellen betrifft. Auch vorher haben die Menschen bereits Berge erklommen und überwunden, jedoch meist nicht aus Gründen der Abenteuerlust, sondern eher auf Reisen oder um Handel zu treiben.
Der Bildband "Eroberer der Berge", erschienen bei Knesebeck, wirft einen ausführlichen Blick auf die bereits erwähnten vergangenen zweihundert Jahre, in denen sich das Bild des Alpinismus so grundlegend geändert hat, in denen viele großartige Expeditionen unternommen und hunderte mutiger Menschen an ihre Grenzen getrieben wurden. Viele kamen dabei zu Tode, andere erlangten unsterblichen Ruhm.

"Die größten Abenteuer des Alpinismus", so der Untertitel des großformatigen Werkes, will dieser Band umfassen und berichtet aus den Jahren 1786 bis 1984 - von der Eroberung des Montblanc bis zur Erstbesteigung des Mount McKinley. Bewusst möchte das Buch nicht erschöpfend die historischen Fakten darlegen oder gar einen Abriss sämtlicher Bergsteiger von damals bis heute geben, sondern es wurden Meilensteine und Höhepunkte ausgewählt, die besondere Leistungen des Alpinismus darstellen und die besonders beeindruckend sind. So sind neben äußerst bekannten Namen - Sir Edmund Hillary oder Reinhold Messner dürfte praktisch jeder kennen, auch wenn er sich nicht für das Thema interessiert - auch viele weitere vertreten, die Außergewöhnliches geleistet haben bei der Begehung neuer Routen, bei der Erstbesteigung von Gipfeln oder bei der Entwicklung neuer Ausrüstungsgegenstände.

Was zuerst auffällt, wenn man dieses Buch aufschlägt, ist die außergewöhnliche Gestaltung der Seiten. Jede Doppelseite enthält Informationen zu einem bestimmten Bergsteiger oder zu einer besonderen Episode des Alpinismus. Der Clou: Jede Doppelseite kann nach oben aufgeklappt werden, so dass sie doppelt so groß ist und fast Postergröße hat. So eignet sich dieses Buch zwar nicht uneingeschränkt für gemütliches Blättern im Sessel, das ungewöhnliche Format bietet aber die Möglichkeit, die Informationen grafisch ganz besonders ansprechend unterzubringen. Die Verarbeitung wirkt dabei sehr edel; durch das sehr dicke Papier und die sorgfältige Faltung der Doppelseiten ist gewährleistet, dass man diesen Band viele Male durchblättern kann, ohne dass die Seiten darunter leiden.
Insgesamt 53 Portraits und informative Artikel sind hier versammelt, und die Namen der vorgestellten Personen lesen sich wie ein Who-is-Who des Bergsports - neben Jaques Balmat und Michel-Gabriel Paccard, den Bezwingern des Montblanc, findet man Edward Whymper, den Eroberer des Matterhorns, Paul Preuß, einen passionierter Bergsteiger, der technische Hilfsmittel weitestgehend ablehnte, und Hans Dülfer und Hans Fiechtl, die demgegenüber Verfechter technischer Kletterhilfen waren. Weitere Artikel beschreiben Leben und Erfolge von Tita Piaz, Attilio Tissi, Riccardo Cassin, Andreas Heckmair - dessen Erfolge von den Nazis instrumentalisiert wurden -, Hermann Buhl, Josef Rakoncaj und viele weitere. Wie schon erwähnt fehlen natürlich auch die bekanntesten Episoden nicht, also die Erstbesteigung des Gipfel des Mount Everest durch Sir Edmund Hillary und Tenzing Norgay und das Drama am Nanga Parbat, bei dem Reinhold Messners Bruder tödlich verunglückte.
Die Auflistung der Namen lässt schon erahnen, dass nur sehr wenige weibliche Gipfelstürmer vertreten sind in dieser Männerdomäne. Das Buch versäumt es aber nicht, wichtige weibliche Figuren des Alpinismus vorzustellen und generell einen Blick darauf zu werfen, wie auch Frauen frühzeitig zur Eroberung der Berge ansetzten - zum deutlichen Widerwillen ihrer männlichen Konkurrenten.

Jede Episode beziehungsweise jedes Portrait hat wie bereits erwähnt eine ausklappbare und dadurch quasi Doppel-Doppelseite gewidmet bekommen. Darauf befindet sich jeweils ein Artikel, der im Stil eines Zeitungsartikels oder eine Reportage, die meist relativ kurz, aber informativ gehalten ist. Bisweilen wünscht man sich aber etwas längere Texte, die mehr ins Detail gehen, die noch mehr offenbaren von den großen Gefühlen, die mit dem Bergsteigen verbunden sind. Gerade in Momenten höchsten Triumphes oder höchster Dramatik - denn viele Abenteurer fanden in den Bergen den Tod - sind die Texte doch recht kurz und knapp ausgefallen.
Der Rest der großformatigen Seiten wird jeweils von Bildern eingenommen. Die ausgewählten Fotos und Abbildungen sind wirklich grandios, sie geben einen herrlichen und eindringlichen Einblick in zweihundert Jahre Geschichte. Zu Beginn des Bandes bestehen die Abbildungen mangels Fotografien noch aus Zeichnungen - hier ist der Wahrheitsgehalt natürlich nicht immer unumstritten, so mancher Bergsteiger mag sein Abenteuer etwas ausgeschmückt haben -, später folgen Kupferstiche, dann werden Schwarzweißfotos von Farbfotografien abgelöst. Auch so manches Originaldokument hat als Abbildung einen Weg in diesen Band gefunden. Die Gestalter dieses Buch haben sich nicht nur sehr viel Mühe bei der Auswahl der Bilder gegeben, auch die grafische Gestaltung der Seiten ist äußerst reizvoll gelungen. Neben Portraits der Bergsteiger zeigen viele Bilder die Alpinisten in Aktion, etwa in der Kletterwand, als Teil einer Seilschaft oder im Lager.

"Eroberer der Berge" ist ein großartiger, wunderschön gestalteter Bildband, der durch die sehr attraktive Aufmachung und das ungewöhnliche Seitenformat zum längeren Blättern und Stöbern einlädt. Die Vielzahl an faszinierenden Fotos, die vor allem in den länger zurückliegenden Jahren interessante Zeitzeugnisse darstellen, lassen fast die Texte in den Hintergrund rücken. Ein rundum gelungenes Werk! Der Preis von knapp 50 Euro ist durch die Qualität auf jeden Fall gerechtfertigt.