Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Bildqualität | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Sieht man sich die letzten Jahre an, kann man die Zeiten gut nach Management-Krisen einteilen, nicht zuletzt durch den Bankenskandal und durch die Siemens-Affäre. Selbst in kleineren Betrieben scheint so mancher Chefsessel mit einem Wackelkandidaten besetzt.
Was aber ist Führung? Was genau macht ein Mensch, der führt? Und wo findet Führung überhaupt statt? Nur in den Chefetagen? Oder schon beim Leiter einer Kleingruppe, einer Klasse, einer Arbeitsgruppe?
Autorin Ruth Seliger nimmt sich in diesem Buch dieser absonderlichen Tätigkeit an. Absonderlich ist die Tätigkeit, und nicht umsonst heißt dieses Buch Dschungelbuch. Nicht wie das von Disney, sondern wie das von Kipling. Im Dschungel zu überleben heißt eben auch Irrfahrten in Kauf zu nehmen, und wer bei Wölfen aufwuchs, muss doch ins Dorf der Menschen zurück. - Will man das Ganze nicht so metaphorisch sehen, dann kann man statt Dschungel Komplexität sagen. Eine Organisation hat es immer mit Komplexitäten zu tun, innerer und äußerer Komplexität. Komplexität, so schreibt Luhmann, ist ein Problem, das nie abnimmt, nie weniger wird. Es ist ein Problem, das als Problem überhaupt erst möglich macht, dass die Menschen frei entscheiden können, dass sie Vielfalt leben können, dass sich Organisationen bilden und in Organisationen Führungspersonen auftreten, die einen besonderen Umgang mit dieser Komplexität pflegen.
Wie dieser Umgang beschaffen sein sollte, bildet Seliger in ihrem Modell der Führung ab. Es ist ein Modell. Modelle sind ja nur, um den französischen Ethnologen Lévi-Strauss zu zitieren, Abbildungen eines idealen Funktionierens. Gleich zu Beginn wird der Leser sich deshalb wundern, dass Seliger mit diesem Modell enttäuschend umgeht: Weder enthält es - so Seliger - etwas Neues, noch gibt es Rezepte an die Hand, noch liefert es Wahrheiten. Systemisch gesehen ist das aber der einzig richtige Weg, mit Idealen, also auch mit Modellen, umzugehen. Neues beruht immer auf schon Vorhandenem, ist also immanent konservativ; Rezepte können Erfolg nicht garantieren, da die Zukunft erst in der Zukunft beginnt, nie in der Gegenwart; und Wahrheit liegt nun mal im Auge des Betrachters. Trotzdem bietet das Buch natürlich Neues, doch dies ist in der Struktur der Begriffe enthalten, in der Wahrnehmung, die man hier lernt, und in der Verarbeitung der Wahrnehmung. Und da kann das Buch Erstaunliches leisten.
Das Buch gliedert sich in fünf Teile. Der erste stellt die klassischen Probleme der Führung dar, zählt die vier üblichen Rollenmuster von Führenden auf und macht einen Streifzug durch einige beliebte Führungstheorien. Der zweite Teil umreißt die Aufgaben der Führung in einer Organisation. Hier integriert Seliger auch die verschiedenen Sichtweisen zu einer ganzheitlichen Perspektive. Zugleich lässt sie aber keinen Zweifel daran, dass Ganzheitlichkeit ein Merkmal von Landkarten ist. Die Wanderung durch die Landschaft kann nicht ganzheitlich sein, nicht in diesem Maße, nicht in dieser Modalität, auch wenn die Landkarte hilfreich und orientierend zur Seite steht. So ist der Platz der Führung auch zwischen allen Stühlen. Wie man damit umgeht, zeigen die nächsten beiden Kapitel.
Das dritte Kapitel geht genauer auf die Leadership-Map ein. Diese liegt dem Buch auch als Kartonfigur bei. Führung - so Seliger - besteht aus einer spezifischen Praxis, ist eine Profession und funktioniert nur als Prozess. Diese drei Dimensionen des Führens teilt die Autorin in je drei Unterdimensionen auf. Wie diese genauer definiert sind und wie diese in der Praxis aussehen, erläutert sie im vierten Kapitel.
Das fünfte Kapitel schließlich geht auf das Positive Leadership ein. Angesichts einer nicht zu reduzierenden Komplexität könne man immer irgendetwas bemängeln. Gerade das aber bremst Arbeitsprozesse aus. Statt also auf Fehlern und Schuld herumzureiten, wird im Positive Leadership der Sinn von Freude (oder Glück, oder Flow), von Sinn und von Stärken thematisiert. Es ist zwar richtig, dass sich manche Menschen mit ihrem Optimismus blind machen. Generell aber ist eine positive Haltung an eine breitere Wahrnehmung und eine bessere Urteilsfähigkeit gekoppelt.
Nicht in allem ist Seligers Buch deutlich. Es gibt wenige und kleine Ausrutscher. So findet der Leser auf Seite 58 folgenden Satz in einem grau unterlegten Kästchen: "Objektivität, Messbarkeit, analytische Zerlegung: Das sind die Formen der Erkenntnis der Welt." - Erst aus dem ganzen Text erfährt man, dass dies eine sehr fehlerhafte Betrachtungsweise ist, von der Seliger sich eindeutig distanziert. Andererseits ist ein Satz wie "Der Beobachter erschafft Systeme" keineswegs schon systemisches Denken. Systeme existieren. Nur weil ich ein System nicht beobachte, hört es nicht auf zu sein. Wenn es so einfach wäre, würde die Menschheit die Bankenkrise dadurch los, dass sie aufhört, die Banken zu beobachten. Keine Bank der Welt wird uns diesen Gefallen tun. Sie führen weitestgehend und oft zur Überraschung ihrer eigenen Manager ein Eigenleben.
Doch das sind Kleinigkeiten am Rande. Insgesamt kann die Autorin dieses komplexe Gebiet gut kartografieren, verdeutlicht wichtige Aspekte, bringt ausdrückliche Beispiele, und das alles in einem gut lesbaren und unterhaltsamen Stil. Nicht zuletzt muss man den Mut hervorheben, mit dem Seliger auch die Grenzen des Führens darstellt und damit die Grenzen ihres eigenen Buches. Das mag nicht verkaufswirksam sein. Auf der anderen Seite hinterlässt das Buch aber keinen schalen Nachgeschmack. Es verspricht keine Allmacht, wo uns alltäglich etwas anderes vor Augen geführt wird. Und dann ist es auch nicht Mut, sondern ausdrücklich Vernunft, um die Grenzen des Führens zu wissen und diese anzusprechen, sei es in der Theorie, sei es in der Praxis.
Für Menschen, die sich intensiv mit systemischem Denken befasst haben, ist dieses Buch nicht neu, aber eine gute Zusammenfassung. Wer hier noch Lernbedarf hat, findet eine hervorragende Einführung, gute Instrumente und einen sorgfältigen Überblick, wo und wie die Führung ihre Aufgaben erledigen muss.
Fazit: Nicht vollkommen, aber trotzdem sehr gut.