Das Volk der Phönizier hat uns nur wenige schriftliche Zeugnisse überlassen - was verwunderlich ist, da die Erfindung der konsonantenbasierten Schrift eine phönizische war. Von den mächtigen Völkern der Eisenzeit und frühen Antike ist es eines der rätselhaftesten geblieben; bekannt als bedeutende Fernfahrer und Händler, die mit ihren Schiffen das Mittelmeer erkundeten und zahlreiche Siedlungen gründeten, deren mächtigste und bekannteste das spätere Karthago war. Mittelpunkt der phönizischen Zivilisation war allerdings die Levante, wo mächtige Stadtstaaten wie Tyros, Byblos, Sidon und Arados als Drehscheiben des frühantiken Handels fungierten und sich sogar gegen mächtige Nachbarn wie die Ägypter, Babylonier und Perser behaupten konnten.

Der Althistoriker Michael Sommer hat im Verlag C.H. Beck einen kompakten Einführungsband vorgelegt, der die Perspektive auf die Phönizier geraderückt. Sommer stellt klar, dass die Phönizier sehr viel mehr waren als Händler und Seefahrer. Beispielhaft stellt er die wichtigsten Siedlungen der Levante vor, nennt die (wenn auch spärlichen) archäologischen Zeugnisse und die daraus gewonnenen Erkenntnisse, und zeigt die komplizierten Verflechtungen mit den mächtigen Nachbarn auf, aber auch die engen Bündnisse mit Judäa und den Inseln der Ägäis. Auch die phönizische Siedlungsbewegung wird ausführlich von Sommer behandelt. Er zeigt aber auch, wie sich gerade in den letzten Jahren das Bild der Phönizier in der Forschung verändert hat; denn hier wurden lange Zeit die phönizischen Einflüsse auf die antike Welt heruntergespielt - eine Spätfolge der Konstruktion des "Europäischen Abendlandes" im 19. und 20. Jahrhundert, als allein den griechischen, nicht aber den semitischen Völkern eine kulturschaffende Rolle zugestanden wurde. Erst jetzt wird dieses Bild geradegerückt, und es enthüllt die Phönizier als mächtiges und selbstbewusstes Volk, das in Gestalt der Karthager nur knapp der römischen Vorherrschaft unterlag.

Sommers Buch ist bei der Beschäftigung mit der Kultur der Phönizier eine gute Orientierungshilfe. Als Einstieg in die Geschichte der Phönizier ist es eine unentbehrlicher Begleiter, zumal auch die jüngsten Forschungserkenntnisse mit eingeflossen sind und eine gut geführte Bibliographie auf weitere Lektüre verweist. Wer sich für dieses geheimnisvolle Kulturvolk interessiert, sollte sich den Band auf jeden Fall zulegen.