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Vielen Wildkräutern, aber auch einigen Kulturpflanzen sowie tierischen Produkten werden traditionell Wirkungen auf Organismus und Psyche zugeschrieben. Frauen, die sich mit entsprechenden Anwendungen auskannten, gerieten in früheren Jahrhunderten schnell in den Ruf der Hexerei. Heute darf man ein Hexenkochbuch herausgeben, ohne zu riskieren, sich den Mund zu verbrennen oder gar verbrannt zu werden, insbesondere, wenn man es mit einem Augenzwinkern präsentiert wie die französische Autorin Brigitte Bulard-Cordeau.
In erster Linie handelt es sich beim vorliegenden Werk um ein Kochbuch mit Rezepten für jeden Anlass und Menüpunkt: Suppen, Vorspeisen und Salate, Hauptspeisen, Desserts und Gebäck, Essige, Öle und Würzsaucen, Marmeladen und Gelees sowie magische Getränke werden als Rezepte vorgestellt.
Wirken die Kategorien auch klassisch, so sieht es mit den Rezepten ganz anders aus. Hyazinthenblüten-Salat wird wohl kaum ein potenzieller Leser je versucht haben, ebenso wenig Suppe aus Radieschengrün, Frühlingsblütenbouillon (unter anderem mit Primel-, Veilchen-, Gänseblümchen- und Löwenzahnblüten), Wachtel-Honigkuchen-Kanapees mit Kirschsauce, Borretschpudding, Grießdessert mit Engelwurz, Mispelgelee oder Myrtenwein.
Nicht alle Rezeptbezeichnungen klingen so ungewohnt, doch vertraut anmutende Gerichte warten mit neuen Facetten auf. Entdeckerfreuden sind also Programm.
Schon der erste Kontakt mit diesem Buch macht neugierig. Einband und Innenleben, selbst die Textur des Papiers, sind so glaubwürdig "auf alt getrimmt", dass man versucht ist, den leicht modrigen Geruch eines antiken Folianten zu erschnuppern, der dann aber doch fehlt.
Die ersten Seiten unterweisen den Hexenlehrling hinsichtlich der Eigenschaften und Handhabung von Heilpflanzen, wobei ausdrücklich auf geschützte Arten hingewiesen wird, und des Einsatzes von Wildpflanzen in der Küche. Auch den Giftpflanzen ist ein Kapitel gewidmet. Hinweise zum Einkaufen und ein Glossar schließen sich an.
Jedem der hundert Rezepte steht eine Doppelseite zu. Eine kleine Einführung gibt einen historischen Rückblick, der mit dem Gericht in Verbindung steht, oder weist auf erwiesene beziehungsweise traditionell überlieferte Wirkungen einer Zutat hin, insbesondere solche, die angehende Hexen kennen sollten, wenn sie einen männlichen Gast haben und die Beziehung zu ihm beeinflussen möchten, in welche Richtung auch immer - mittels Aphrodisiaka für ihn, sich selbst oder beide oder auch mittels "dämpfender" Kräuter wie Dill und Wasserminze. Freilich enthalten diese Tipps immer einen ordentlichen Schuss Humor.
Es folgt das Rezept, gegliedert in Zutatenliste mit Angabe zu Personenzahl, Vorbereitungs- und Koch- oder Backzeit sowie das "Abrakadabra", also das Prozedere in Form einer Schritt-für-Schritt-Anleitung, die weder magische Kräfte und schwarze Katzen noch viel Küchenerfahrung voraussetzt.
Die rechte Hälfte der Doppelseite enthält Informationen zum Gericht oder den Zutaten in den Rubriken "Kleine Hexenfibel", "Wissenswertes", "Wichtig!" (hier geht es meistens um praktische Tipps zum Kochen) und "Serviervorschläge". Diese Informationen werden charmant und unterhaltsam dargeboten.
Illustriert sind die Rezepte und Informationen mit allerlei alten Stichen, alten Fotos, Zeichnungen und originellen Collagen. Hier und da findet sich ein apartes "Trompe-l?oeil", etwa aufgedruckte Lesebändchen, die so plastisch wirken, dass man der Versuchung nicht widerstehen kann, sie zu berühren. Nicht nur das Lesen, sondern auch das Betrachten bereitet Vergnügen.
Die Rezepte, in denen häufig bei uns selten verwendete, aber wohlschmeckende Wildkräuter und Blumen mit geschmacklicher und Dekorationsfunktion anzutreffen sind, stehen für leckere und zum Teil wirklich anspruchsvolle, edle Gerichte - ob die Hexe in spe nun tatsächlich ihren Liebsten ganz für sich einnehmen oder anderweitig beeinflussen oder ihm und sich und vielleicht auch der ganzen Familie oder Freunden einfach ein wunderbares Menü gönnen möchte. Gesund und köstlich sind die Gerichte allemal.
Wer freilich die Zutaten in freier Natur sammeln möchte und wenig an Botanikkenntnissen mitbringt, sollte einen entsprechenden Naturführer besitzen; Rezensionen hierzu findet man übrigens ebenfalls auf Media-Mania.de. Die Zeichnungen im Buch sind letztlich doch eher dekorativ, und statt Frauenmantel ist zu einem Rezept Taubnessel abgebildet. Ein wenig makaber mutet es an, dass in mindestens zwei Rezepten "Milchpulver aus dem Asia-Laden" als Zutat angeboten wird - nach dem Melamin-Skandal in China 2008 verzichten vielleicht auch Hexen ganz gern darauf.
Da aber das Buch ansonsten inhaltlich auf derart ausgefallene Weise informativ, nützlich und unterhaltsam ist und auch bezüglich seines Layouts und der gesamten Aufmachung zu den schönsten Büchern gehört, die der Rezensentin je begegnet sind, verdient es die Bestwertung.
Ob sich die vorgestellten Gerichte tatsächlich in der genannten Weise auf Liebesleben und Gesundheit auswirken? Die Rezensentin genießt und schweigt.