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Darwin. Im Jahre 2009 gibt es mehr Veröffentlichungen von und über Darwin, als vielen Lesern lieb sein kann. Denn nicht nur Sinnvolles wird da als Beitrag zum Verständnis der Evolution veröffentlicht. Der berühmte Naturforscher und Begründer der Evolutionstheorie wurde vor zweihundert Jahren geboren und veröffentlichte vor einhundertfünfzig Jahren sein epochales Werk "Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl". Und viele Forscher, Wissenschaftler, Journalisten und sich berufen Fühlende versuchen im Zuge der öffentlichen Wirkung dieses Jubiläums ein Werk einzureihen, das vielleicht lieber ungeschrieben geblieben wäre.
"Evo Devo" von Sean B. Carroll gehört mit Sicherheit nicht in diese Kategorie. Der Professor für Molekularbiologie und Genetik am Howard Hughes Medical Institute der University of Wisconsin in Madison ist ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der "Evolutionären Entwicklungsbiologie" (
evolutionary developmental biology, daher der etwas irritierende und seltsam anmutende Titel "Evo Devo").
Sein Sachbuch räumt nicht nur reihenweise mit Irrtümern und überkommenen Vorstellungen auf, es führt auch fundiert und dezidiert vor, welchen Stand die Forschung erreicht hat und wo zur Zeit offene Fragen sind und wie er sich die Zukunft der "Synthetischen Theorie der Evolution" vorstellt.
In zwei Teilen und elf Kapiteln versucht Carroll dem geneigten Leser zu vermitteln, was "Evolutionäre Entwicklungsbiologie" ist und welchen Beitrag sie zu offenen Fragen der Evolutionstheorie beizutragen in der Lage ist.
Im ersten Teil "Die Entstehung der Tiere" legt Carrol die Grundlage zum Verständnis der Entwicklung eines Embryos zum fertigen Tier. Er vermittelt die komplexe Struktur des Genoms, die neben der schieren Anzahl der Gene entscheidend geprägt ist von Bereichen der DNA, die vor zwanzig Jahren noch als Schrott, sinnlose Basenabfolge und unwichtig für das Lebewesen und die Evolution abgetan wurden. Gerade in diesen Bereichen, den Genen vorgeschalteten Zonen und Schaltern, die eine Genexprimierung veranlassen oder eben unterbinden können, liegt das Potenzial des Genoms, der wahre Bauplan für die Embryonalentwicklung.
In vielen Beispielen vermittelt Carroll ein Wissen, das gerade erst gewonnen und in Form gegossen wurde, gerade erst seinen Beitrag zur Debatte leisten kann und wichtige Bereiche der Evolution und der Embryonalentwicklung erhellen kann.
Schnell wird in diesem ersten Teil klar, dass Carroll sein Buch nicht für den Laien und von Genetik und Molekularbiologie Ahnungslosen geschrieben hat. Er verwendet Fachsprache, schildert komplexeste Zusammenhänge und schwierigste Forschungsergebnisse. Zwar versucht er, immer wieder erklärend zu vereinfachen und klar zu stellen, doch bleibt das Buch ein schwieriges und forderndes Stück Arbeit - auch für den Studenten der Biologie, den Lehrer und fachfremden Wissenschaftler. Selten aber hat es ein lohnenderes Unterfangen gegeben, an der Spitze der Forschung mitreden zu können und zu verstehen, womit sich Genetiker, Evolutionsbiologen und Molekularbiologen zur Zeit beschäftigen.
Hat man diesen Teil hinreichend verinnerlicht - gelegentliches Nachlesen und konzentriertes sich Erinnern vorausgesetzt - kann man sich dem zweiten Teil des Buches widmen. "Fossilien, Gene und die Vielfalt der Tiere" behandelt die Frage, wie aus einem größtenteils bereits im Kambrium vorhandenen Genbestand eine solche Fülle von verschiedenen Arten entstehen konnte. Auch die Menschwerdung wird unter diesem Gesichtspunkt kurz angerissen, verbleibt aber an der Oberfläche und vermittelt nur einen knappen Überblick über den Stand der Forschung. Exzellent sind die immer wieder eingestreuten Fotografien und Zeichnungen. Die teilweise farbigen Bilder erleichtern das Verständnis des Textes enorm und dokumentieren meist aktuelle Forschungsergebnisse.
Suchte man bisher vergebens nach einer Verbindung mit aktuell diskutierten Evolutionstheorien, wird man auf den letzten zwanzig Seiten fündig. Hier gießt Carroll seine Ansichten, fußend auf den beschriebenen Erkenntnissen, in eine lesenswerte Form. Leider gerät diese Übersicht sehr kurz und hat wenig Tiefgang. Auch seine Zurückweisung der momentan erstarkenden Theorien der Kreationisten und des "Intelligent Design", die sich schlicht der modernen Wissenschaft verweigern und in allen ungeklärten Fragen einen Gottesbeweis sehen wollen, gerät zu knapp, um zu überzeugen. Hier muss man andere Bücher lesen und nach Informationen durchforsten.
"Evo Devo" ist das Arbeitsbuch eines Praktikers. Es ist brillant, komplex, schwierig und fordernd. Am Ende ist man zwar enttäuscht über den geringen Anteil an "Evolution", doch mehr als begeistert über den enormen Wissenszuwachs, den man dank Carrol auf dem Gebiet der Entwicklungsbiologie gewonnen hat. In diesem Sinne ist dieses Buch einmalig, fantastisch und äußerst lesenswert - doch Darwin und seine Theorie wird man hier nicht erklärt bekommen, das sollte man beachten!