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2009 ist aus der Sicht vieler Evolutionstheoretiker ein Darwin-Jahr. Nicht nur seine Geburt jährt sich zum zweihundertsten Mal, auch sein wichtigstes Werk "Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" feiert einhundertfünfzigjähriges Jubiläum. Und ist - betrachtet man die lange Liste der Veröffentlichungen 2008 und 2009 zu diesem Thema - immer noch in aller Munde und das Maß aller Dinge.
Auch Merlin Donald reussiert mit einem Buch, das den Untertitel "Die Evolution des menschlichen Geistes" trägt. Seltsamerweise wird es als "sein neuestes Buch" beworben und angekündigt. Doch handelt es sich lediglich um ein vom Autor für die deutsche Übersetzung und Veröffentlichung durchgesehenes und aktualisiertes Buch aus dem Jahre 2001. Dies soll der Leistung des emeritierten kanadischen Psychologie-Professors keinen Abbruch tun, erstaunt aber doch. Dies wirkt leider zunächst so, als wollte man unbedingt im Vorfeld des Eingangs erwähnten Darwin-Jahrs mit ins Boot der Evolutionsbücher.
Das Buch selbst beginnt hoch spannend. In einem faszinierend eloquenten Prolog umreißt Donald die Thesen, die er in seinem Buch erläutern will und gibt dem interessierten Leser einen Vorgeschmack, was ihn auf den nächsten dreihundert Seiten erwartet. Dies nicht nur im Hinblick auf den gewaltigen Wissenszuwachs, den man erzielen wird, sondern auch auf die hohe Hürde, die es zuvor zu bewältigen gilt. Denn Sprache und Fachtermini sind alles andere als laienhaft verständlich. Man muss schon ein gerüttelt Maß an Vorwissen oder eine sehr hohe Konzentrationsfähigkeit mitbringen, um dem experimentellen Hirnforscher folgen zu können.
"Das Paradox des Bewusstseins" wird von Donald in Kapitel eins seziert. Indem er die verschiedenen, sich teilweise im direkten Widerstreit befindenden Theorien und Ansichten der Neurowissenschaftler, Philosophen, Psychologen und Linguistiker darlegt, nähert er sich einem der schwierigsten Felder der Evolutionsforscher, der Frage, was Bewusstsein ist, wie man seine verschiedenen Manifestationen definieren kann und wem man es überhaupt - je nach Denkschule - zuerkennt.
In Kapitel zwei "Das Leitsystem des mentalen Lebens" nähert sich Donald dem Gegenstand seiner Betrachtung. Ausgehend von dem am leichtesten nachzuweisenden zehn bis fünfzehn Sekunden umfassenden, auf dem Kurzzeitgedächtnis fußenden Aspekt des Bewusstseins, legt er verschiedene Theorien dar, die dies bereits zum alleinigen Bewusstsein erklären wollen. Mit Hilfe verschiedener Fallbeispiele weist der Autor diese Ansicht zurück und erklärt sie für überholt.
Im dritten Kapitel "Der Bewusstseinsclub" geht Donald hart ins Gericht mit der weit verbreiteten Ansicht, nur Menschen hätten ein Bewusstsein, das zudem nur eine Art Abbild der verschiedenen Sinnesreize sei. Donald hält eine überzeugende Brandrede gegen solche Vorstellungen und gibt einen ersten Ausblick auf seine Thesen und seine Zielrichtung in den weiteren Kapiteln seines Buches.
In "Drei elementare Stufen des Bewusstseins", dem vierten Kapitel, geht er auf den vielfach benutzen Vergleich des Bewusstseins mit einem Computer ein und versucht mit Hilfe vieler Beispiele die verschiedenartigen Bewusstseinsstufen zu definieren. Die erste Stufe nennt er "Perzeptuelle Bindung und selektive Aufmerksamkeit", die zweite " Kurzzeit-Regulierung" und die dritte Stufe "Mittel- und langfristige Regulierung". Nur die letzte Stufe ist nach Meinung von Merlin Donald allein beim Menschen zu finden.
Im fünften Kapitel "Condillacs Statue" und in den abschließenden Kapiteln sechs ("Die ersten Hybridintelligenzen der Erde") und sieben ("Der Triumph des Bewusstseins") entwickelt Donald "sein" Modell des menschlichen Bewusstseins und seine mögliche Entstehung. Kernthese ist das Ineinandergreifen innerer Entwicklungen und Möglichkeiten mit der äußeren Kultur. Diese sich gegenseitig bedingenden Faktoren führen seiner Meinung nach zum entscheidenden Entwicklungsvorsprung der Menschen vor allen anderen Lebewesen auf der Erde und bedingen ihre Einzigartigkeit im Hinblick auf höhere Bewusstseinsleistungen.
Ein Abschnitt mit Anmerkungen zu jedem Kapitel, ein Register und eine Danksagung schließen das Buch ab.
Merlin Donald ist ein brillanter Wissenschaftler. Seine Stärke aber liegt in der schriftstellerischen Aufarbeitung seiner Erkenntnisse. Zwar fordert er eine sehr hohe Aufmerksamkeit seitens seiner Leser, entführt sie dafür aber auch in Sphären, die man innerhalb dieser Thematik nirgendwo sonst geboten bekommt. Er macht keine Kompromisse, verspricht nichts, kommt zu keinen einfachen Antworten oder Ergebnissen und spiegelt keine Lösungen vor, die es nicht geben kann.
Stattdessen führt er den Leser Schritt für Schritt an jene Stelle, die die Wissenschaft auf sicherem Boden erreicht hat und darüber hinaus. Er gibt einen Ausblick, formuliert Thesen und Möglichkeiten, spielt mit den verschiedenen Ansätzen und Thesen, lässt den Leser teilhaben an der intellektuellen Freude, die die Beschäftigung mit diesem Thema dem Menschen und Philosophen, Kognitionsforscher und Schriftsteller Merlin Donald bereitet. Und ein wenig dieser Freude springt über, lässt einen fast atemlos lesen und nachvollziehen, verstehen und mitdenken.
Merlin Donalds Buch ist ein Entwurf, ein Versuch, eine Zwischenbemerkung - und eine Offenbarung. Selten hat ein Buch über das menschliche Bewusstsein so mitgerissen und fasziniert. Das sollte, muss man gelesen haben.