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Im Winter 1941 ist St. Petersburg - damals noch Leningrad - von den Deutschen eingekreist. Die belagerte Stadt, die von ihren Bewohnern voller Liebe und Stolz Piter genannt wird, ist nahezu ausgehungert, verwüstet, nur noch ein Schatten ihrer selbst. Tausende sind nicht den Bomben zum Opfer gefallen, sondern Kälte und Hunger. In diesem eiskalten Winter schweißt das Schicksal zwei ungleiche junge Männer zusammen: Der siebzehnjährige Jude Lew wird von der russischen Miliz erwischt, als er einem toten deutschen Soldaten ein Messer abnimmt. Im Gefängnis trifft er auf den zwanzigjährigen Kolja, einen Deserteur, Lebemann und unbekümmerten Charmeur.
Den sicheren Tod durch Erschießen am nächsten Morgen vor Augen, sind die beiden umso überraschter, als sie eine Gnadenfrist eingeräumt bekommen. Sie erhalten vom Chef des Geheimdienstes den Auftrag, bis zum nächsten Donnerstag zwölf Eier zu beschaffen, denn eine Hochzeit steht an und es soll zu diesem Anlass natürlich eine Torte gebacken werden. Doch wie zwölf Eier auftreiben in einer Stadt, in der es Eier, geschweige denn Hühner, schon lange nicht mehr gibt?
Das Schicksal schweißt Kolja und Lew immer enger zusammen, als sie auf ihrer abenteuerlichen Suche Schreckliches und Schönes erleben, neue Freunde kennenlernen und andere verlieren. Bald schon erhalten die Kriegsgräuel der Deutschen ein Gesicht, und ebenso wie die Suche nach den Eiern steht bald die Rache an dem sadistischen Sturmbannführer Abendroth im Mittelpunkt der Geschichte ...
In "Stadt der Diebe" berichtet David Benioff halb-biografisch von der Geschichte seiner Vorfahren, die unter dem Namen Beniow in St. Petersburg lebten. Er schickt seine ungleichen Romanfiguren Lew und Kolja auf eine Reise, die so skurril ist, so abenteuerlich und gleichzeitig so furchtbar traurig, dass man Seite um Seite umblättern muss, bis zum bitteren Ende. Die Eiersuche erweist sich als Odyssee, denn in ganz St. Petersburg sind keine Eier mehr aufzutreiben. Da aber ihr Leben davon abhängt, machen sich Lew und Kolja auf hinter die feindlichen Linien, um ihr Glück außerhalb der Stadt zu versuchen.
Dem Autor ist es wunderbar gelungen, seine beiden Protagonisten zu beschreiben, so dass wir sie beide von Beginn an gleichermaßen lieben - der schüchterne Zivilist Lew, der die Geschichte aus der Ich-Perspektive schildert, ist nachdenklich, gehemmt, leidet unter seiner schmächtigen Statur, seiner allzu großen Nase, seiner Angst, die ihn in Augenblicken größter Gefahr gnadenlos lähmt. Demgegenüber steht der desertierte Soldat Kolja, der gut aussieht, Schlag bei den Frauen hat, ein Charmeur und redegewandter Tausendsassa ist. Unbekümmert und voll unerschütterlichem Selbstbewusstsein macht Kolja sich auf die Suche nach dem Dutzend Eier und bringt Lew immer wieder dazu, über sich hinauszuwachsen.
Das Ende der Geschichte ist bitter, wenn auch nicht unerwartet. Doch bis dahin schildert Benioff spannend und immer wieder voller überraschendem Humor die Ereignisse, in die sich Lew und Kolja auf ihrer Suche verstricken - so geraten sie ins Haus eines Kannibalen, finden den letzten Hühnerstall in ganz St. Petersburg, machen die Bekanntschaft von gefallenen Mädchen und Partisanen, geraten in Kriegsgefangenschaft und spielen um ihr Leben.
"Stadt der Diebe" ist ein hinreißender, trauriger und spannender Roman mit einer großen Portion Komik, die das ernste Thema aber nicht herabsetzt. Benioff hat die Gegensätze der Kriegsjahre, Grauen und Hoffnung, Liebe und Tod, gelungen miteinander verknüpft, ohne dabei je schwülstig oder langweilig zu werden.