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Die Schwestern Charlotte, Emily und Anne Brontë gehören wohl zu den wichtigsten britischen Schriftstellerinnen. Obwohl sie im neunzehnten Jahrhundert ihre Werke zunächst unter Pseudonymen und im Eigenverlag veröffentlichen mussten, erlangten sie doch noch zu Lebzeiten Bekanntheit. Von der ältesten der schreibenden Schwestern, Charlotte Brontë, stammt der Roman "Jane Eyre", der über das Leben der jungen gleichnamigen Erzieherin berichtet.
Die junge Jane Eyre hat es wahrlich nicht einfach in ihrem Leben. Tante Reed, die ihre Nichte bei sich aufnehmen musste, hasst das Mädchen abgrundtief, der Vetter und die Basen hänseln und quälen sie, und keiner der Dienerschaft mit Ausnahme der hitzigen Bessie kümmert sich um sie. Der einzige Blutsverwandte, der sie je liebte, ist Onkel Reed, und der ist schon seit Jahren tot. Und trotz all der schlechten Behandlung, die ihr zuteil wird, lehnt sich Jane gegen ihre Tante und ihren sadistischen Vetter John auf.
Um das aufmüpfige Mädchen loszuwerden, schickt ihre Tante sie schließlich auf eine strenge Mädchenschule, in der Jane Anstand und Demut lernen soll. Harte, entbehrungsreiche Jahre und leidvolle Erfahrungen erwarten das Mädchen dort, doch nichts davon kann Jane auf ihrem Weg erschüttern. So landet sie schließlich mit achtzehn Jahren als Erzieherin im Haushalt des reichen Edward Rochester, um sich um dessen Mündel Adèle zu kümmern.
Jane ist eine kluge, resolute junge Frau geworden, die ihren eigenen Kopf hat. Das merkt auch Rochester schnell, der zwar kein Schönling, aber ein intelligenter und leidenschaftlicher Mann ist. Die beiden finden Gefallen aneinander und verlieben sich schließlich, trotz aller Konventionen und Standesschranken. Doch Rochester birgt ein düsteres Geheimnis in seinem Haus ?
Ein Klassiker der englischen Literatur, Pflichtlektüre an britischen Schulen und eine zeitlose, romantische Liebesgeschichte - all diese Eigenschaften kann Brontës Roman aus dem Jahr 1847 in sich vereinen. Aber wie steht es in der heutigen Zeit um "Jane Eyre"? Konnte der Roman die Jahrhunderte überdauern und fesselt er seine Leser noch immer mit seinen Themen von Liebe, Gesellschaftskritik und weiblicher Unabhängigkeit?
Zu großen Teilen kann die Frage mit Ja beantwortet werden. Die Gegensätzlichkeit von Jane und Rochester, ihre mannigfaltigen, intelligenten Dialogduelle und das damit verbundene geistige Kräftemessen, aber auch das gezeichnete Gesellschaftsbild, die Konventionen und Tabus des damaligen Lebens werden kraftvoll und mit eloquenter Sprache dargestellt. In der Ich-Perspektive aus Janes Sicht lernt der Leser diese ungerechte Welt kennen und begibt sich mit der klugen, unkonventionellen und dadurch umso interessanteren Jane auf eine spannende Reise.
Besonders auffällig am Roman sind die vielen persönlichen Erfahrungen, die Charlotte Brontë einpflegt, etwa Janes Aufenthalt in einem strengen Mädchenpensionat, in dem teils menschenunwürdige Zustände herrschen, oder Janes Berufswahl und ihr Wunsch, später einmal selbst eine kleine Schule zu eröffnen. Dennoch handelt es sich bei "Jane Eyre" zu keinem Zeitpunkt um eine Autobiografie; erst nach Brontës Tod wurde eine Biografie ihr zu Ehren verfasst und veröffentlicht.
Weniger den typischen Elementen des Schauerromans und noch weniger der teilweise etwas klischeehaften Liebesgeschichte ist es zu verdanken, dass "Jane Eyre" noch immer einen so hohen literarischen Stellenwert genießt. Viel interessanter ist die scharfe Beobachtungsgabe Brontës bezüglich der Gesellschaft ihrer Zeit; der Verblendung und der Oberflächlichkeit. Natürlich sind trotz den recht modernen Ansichten der Autorin längst nicht alle Verhaltensweisen der Charaktere für heutige Leser nachvollziehbar, zeigen dafür im Vergleich aber umso deutlicher die damaligen, üblichen Konventionen, denen man sich für gewöhnlich zu unterwerfen hatte.
Auch heute noch ist "Jane Eyre" ein lesenswerter Klassiker der englischen Literaturgeschichte. Neben einem kritischen Gesellschaftsbild und für die damalige Zeit eher ungewöhnlich konzipierten Charakteren in Form von Jane und Rochester erwarten den Leser eine schöne Liebesgeschichte und eine bisweilen allzu rührselige, dramatische Handlung, die jedoch stets unterhaltsam bleibt.