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 Engelsstimme


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton


Was für ein trauriges Ende: Der vor kurzem entlassene Portier des zweitgrößten Hotels in Reykjavík liegt zusammengesunken in seiner kleinen Kellerwohnung. Das Kostüm, das der Mann auf der Weihnachtsfeier der Angestellten tragen sollte, steht in makaberem Kontrast zur herunter gelassenen Hose, dem Kondom am erschlafften Glied und der blutenden Stichwunde.
Und obwohl der Mann mehr als zwanzig Jahre in dem Hotel gearbeitet hat, immer in derselben, tristen Kellerraum, scheint ihn niemand zu kennen, niemand mehr als ein paar Worte im Monat gewechselt zu haben, niemand von seinem Privatleben auch nur die kleinste Ahnung zu haben. Dass der Mann einst einer der besten Chorknaben Islands war, ehe ihn der Stimmbruch ereilte, wird mit Erstaunen und Gleichgültigkeit hingenommen. Der Mann hinterlässt einfach keine Lücke, sein Tod wird ignoriert. Auch seine Familie, die man nach längerer Suche ausfindig macht, ist völlig desinteressiert am Schicksal des Fünfzigjährigen. Der Vater und die Tochter des Toten haben seit zwanzig Jahren kein Wort mit ihm gewechselt, zeigen keine Trauer und nicht die geringste Anteilnahme.

Erlendur und sein Kollege Sigurdur Oli stehen vor schwierigen Ermittlungen. Kein Verdächtiger, kein Motiv, keine Spur. Erlendur, deprimiert ob der Aussicht, die Tage bis zum Weihnachtsfest in seiner Wohnung zu hängen, quartiert sich kurzerhand in dem Hotel ein und beginnt die Angestellten auszufragen. Irgendwo muss es doch eine Spur zum Täter geben, irgendjemand in dem riesigen Hotel muss doch mit dem Portier ein engeres Verhältnis gehabt haben.

Nach "Menschensöhne", "Todesrosen", "Nordermoor" und "Todeshauch" ist "Engelsstimme" der fünfte Roman des Isländers Arnaldur Indriðason mit der zentralen Figur des Kommissars Erlendur Sveinsson. Wieder legt der Autor sehr viel Wert auf eine sehr genaue Charakterzeichnung von Erlendur. Seine Kindheit, der tragische Verlust seines jüngeren Bruders und seine Scheidung nebst dem Schicksal seiner beiden Kinder, von denen der Sohn zum Alkoholiker, die Tochter zur Drogenabhängigen wurde, wird gekonnt in die Ermittlung eingearbeitet und gerät zwischenzeitlich fast zur Hauptsache. Leider werden sämtliche weitere Aspekte des Umfeldes des Kommissars wie die privaten Probleme seines Kollegen Sigurdur Oli oder das Vorhandensein weiterer Ermittler ausgeklammert. Auch einige Handlungselemente, die im Buch breiten Raum einnehmen, werden ausgelassen. So wird beispielsweise die parallele Ermittlung, die Kindesmisshandlung thematisiert, im Hörbuch mit keinem Wort erwähnt.

Trotz oder gerade wegen dieser Kürzungen ist "Engelsstimme" ein ungemein intensives Hörspiel. Die düstere, depressive Stimmung, die Traurigkeit und Ausweglosigkeit der Charaktere, die Beziehungslosigkeit des Portiers, seine Kindheit, sein Werdegang gehen dem Hörer sehr zu Herzen.
Nicht zuletzt der Glanzleistung von Frank Glaubrecht ist es zu verdanken, dass keine Minute dieses eigentlich völlig ereignislosen Krimis langweilig wird. Er fängt die Stimmung dieses Romans, die glaubwürdigen Charaktere so brillant ein, dass man einfach nur an seinen Lippen hängt und zuhört. Allein das Eingangsstück, in dem die "Engelsstimme" - ein Chorknabe singt eines der beiden Lieder, die der Portier als Kind zu einer landesweiten Berühmtheit werden ließ, ehe der Stimmbruch ihn ereilte - zu hören ist, geht tief unter die Haut. Und spätestens wenn dieses Lied auch am Ende des Hörbuchs erklingt, möchte man weinen ob des Schicksals dieses so einsam gestorbenen ehemaligen Jahrhunderttalents.

Indridason schreibt einmalige Romane. Es sind eher Beschreibungen der isländischen Seele denn spannende Krimis. Doch wer eines der Bücher gelesen oder eines der genial vertonten Hörbücher gehört hat, muss sie alle haben. Und wer alle kennt, wird "Engelsstimme" einen besonderen Platz einräumen - der Roman ist herausragend schön, oder traurig - je nachdem, wie man es betrachtet.

Dieses Hörbuch muss man einfach kaufen - zumal die "ADACmotorwelt Krimi-Edition" von "Engelsstimme" für unter acht Euro zu haben ist - geradezu sensationell günstig!

Stefan Erlemann



CD | CD-Anzahl: 4 | Erschienen: 01. April 2007 | ISBN: 9783939606482 | Laufzeit: 233 Minuten | Originaltitel: Röddin | Preis: 7,95 Euro

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