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Dörte Martens lebt in ihrer eigenen Welt, ihre Wohnung hat seit mehreren Jahren nur der Heizungsableser betreten, in ihrem Labor arbeitet sie alleine an verschiedenen Forschungsaufträgen und sie ist zufrieden so, wie es ist. Kollegen und anderen Menschen geht sie lieber aus dem Weg, im Gegensatz zu unverfänglichen sexuellen Abenteuern auf Kongressen und Fortbildungen. Einer dieser Kontakte, ein russischstämmiger Kinderarzt, weigert sich jedoch hartnäckig nach einer Liebesnacht, wieder aus ihrem Leben zu verschwinden.
Doch bevor Dörte mit seinem Wunsch nach einer tieferen Beziehung zu ihr konfrontiert wird, steht eines Tages ein Pathologe in ihrem Büro. Der hat eine seltene Käferspezies von einer neulich entdeckten Leiche abgesammelt, und Dörte ist ihm als Käferspezialistin empfohlen worden. Dieser Besuch reißt Dörte aus ihrem wohlgeordneten Alltag, denn diese Käferspezies ist nur heimisch auf Madagaskar. Die einzigen anderen Stellen, an denen Pseudosilphida madagassa sonst außerhalb von Madagaskar vorkommt, sind ihre alte Uni, die Dörtes Käfer-Züchtungen zu ihrer Doktorarbeit weiter pflegt, und ihre Wohnung. Dörte befürchtet, das Opfer eines Komplotts zu werden, denn an diesem Tag bestellt sie der Vorstandsvorsitzende ein. Durch einen Zufall sieht Dörte auf seinem Bildschirm, dass er Nachforschungen über sie und ihre Herkunft angestellt hat.
Und so beginnt im Roman "Die Käferfrau" von Mika Frankenberg, erschienen im dtv-Verlag, eine spannende und witzige Reise in die Machenschaften des Pharmalabors und in Dörtes Vergangenheit. Die Kapitel, in denen der Leser Neues über die gegenwärtige Lage und über die teilweise erschütternden Ereignisse in Dörtes Kindheit und Jugend erfährt, wechseln sich ab. An ihre Eltern hat Dörte keine Erinnerungen, Adoptivheime und Pflegeeltern wechselten sich ab, bis sie selber Kontrolle über ihr Leben übernehmen konnte.
So befinden der Leser und sie sich in derselben Position und erfahren gemeinsam Dinge aus ihrer Vergangenheit. Dies geschieht mithilfe von Berichten und Protokollen von Ämtern und Ärzten und wirkt sehr authentisch. Nach und nach erklärt sich, warum Dörte so ist, wie sie ist. Während sich langsam die Vergangenheit klärt und so auch die Gegenwart Sinn ergibt, entwickeln sich zarte Beziehungen. Eine studentische Hilfskraft an der Uni lässt sich von Dörtes Kratzbürstigkeit nicht abschrecken und sucht immer öfter ihre Nähe, ebenso wie der russische Kinderarzt. Dörtes Jagd um die Puzzleteile ihrer Vergangenheit und die Ergründung der seltsamen Zusammenhänge des Toten mit "ihren" Käfern zieht den Leser in den Bann.
Während es am Anfang noch hauptsächlich um den Kriminalfall geht, rücken die Ereignisse aus Dörtes Vergangenheit schnell in den Vordergrund. Man möchte diese kratzbürstige Heldin mit ihren Marotten und ihrer Hypochondrie verstehen und ihr vor allem helfen bei ihrer Suche. Auch wenn die behandelten Themen wie Kindheit in Heimen, Machenschaften bei Pharmafirmen, möglicher Organraub bei sterbenden Babys und ein am Marburg-Virus gestorbener Pharmaangestellter, der den Job wechseln wollte, ernst sind, schafft die Autorin es, diese Themen so in eine Geschichte einzubinden, dass es nachvollziehbar und nicht zu erdrückend wirkt. Durch die schlagfertigen Dialoge und die abwechslungsreichen Kapitel lassen sich die über dreihundert Seiten im Nu lesen. Vor allem die facettenreiche Hauptfigur und die interessant gestalteten Nebenfiguren lassen keine Langeweile aufkommen.
Lediglich wer einen reinen Krimi erhofft, wird enttäuscht werden. Den Rest erwartet ein intelligent geschriebener Roman über eine ungewöhnliche Hauptperson, die auf der Suche nach sich selbst mit vielen verschiedenen Wahrheiten und unliebsamen Details fertig werden muss und sich langsam aus ihrer selbst gewählten Isolation heraus bewegt.