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Die Sonne brennt unbarmherzig auf den belebten Markt der kleinen Hafenstadt und deren Einwohner nieder. Alim der Gerber, einer der kastenlosen Armen, versucht seine wenigen Waren zu verkaufen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn der größte Feiertag des Reiches steht bevor, die Huldigung des heiligen Jesameth. Die Bevölkerung und vor allem die Priesterkaste dankt mit der festlichen Tötung einer Gruppe Barbaren dem großen Helden Jesameth, der vor einem Jahrhundert auszog, die Götter zu suchen. Der Legende nach überquerte er das gefährliche Meer, erreichte die Insel der Götter und verlangte von ihnen, sich der Menschheit zu erinnern.
Bul, die vierjährige Tochter des Gerbers Alim, versteht wenig von diesem Glauben und verhält sich unbekümmert und bar jeder Angst. Sie wagt es sogar, einen selbst gebastelten Drachen am Strand in den Himmel steigen zu lassen. Janissaire, der oberste Priester der Hafenstadt, erwischt das kleine Mädchen bei diesem Sakrileg, bestraft sie und droht Alim mit härtesten Konsequenzen, wenn das Kind sich weiter gegen die Götter versündigt und die heiligen Regeln bricht.
Alim freut sich auf das Fest, wird aber in der Nacht von den Schergen Janissaires aus dem Bett geholt. Am Strand ist eine riesige Killersirene, eines der gefährlichen Untiere, die den Ozean in Massen bevölkern, verendet und stört die morgigen Feierlichkeiten. Alim soll das riesige Tier noch in der Nacht zerlegen und den besudelten Strand reinigen. Wütend macht er sich an die fast unlösbare und ekelhafte Aufgabe. Alim ahnt nicht, dass er in den Mägen des Tieres etwas finden wird, das die Menschen, ihren Glauben, die ehernen Grundsätze der gesamten Menschheit erschüttern wird.
Seit April 2009 ist im Splitter-Verlag der erste Band der Serie "Alim der Gerber" erhältlich. Autor ist Wilfrid Lupano, Illustratorin Virginie Augustin. Lupano hat in Frankreich bereits mit der Serie "LÂ’Amour a ses raisons ..." und "Lili fleur bleue - LÂ’Ivresse des fantômes" für Aufsehen gesorgt, Augustin ist dem Fachpublikum durch ihre Arbeiten bei Disney und hier vor allem durch die Serie "Die Drachenjäger" ein Begriff.
Beide sind dem deutschen Comic-Publikum noch nicht bekannt, werden aber nach diesem Debüt wohl bald in die erste Liga aufsteigen. Denn sowohl die Geschichte von Lupano als auch die Bilder von Augustin sind erfrischend anders, neu und faszinierend.
Texter Lupano punktet mit einer Melange, die hohes Potenzial hat. Im ersten Teil umreißt er eine Welt des orientalischen Mittelalters, des tiefen Glaubens und mythischer Alptraumwesen, die in der realen Welt keine Entsprechung haben. So gelingt ihm der Balanceakt zwischen Bekanntem und Neuem, zwischen Klischee und Innovation fast in jeder einzelnen Szene. Die Figuren sind sowohl Versatzstücke vieler bereits in Literatur und Comic ausgeweideter Gestalten wie dem Oberpriester, dem Wächter und dem mythischen Helden als auch wunderbar unverbrauchte Handlungsträger wie der etwas tumb wirkende Alim oder der alte Pehpeh. Einzig die kleine Bul scheint ein wenig zu sehr Klischee zu sein, hat aber genügend Spielräume, sich in unbekannte Richtungen zu entwickeln.
Das wahre Highlight aber sind Augustins Bilder. Oft können die Bilder zwar kaum verleugnen, dass die Zeichnerin ihre ersten Meriten bei der Animationsschmiede von Disney erworben hat, doch kommt das dem Comic-Genre sehr zugute. Ihr gelingt es, die alltägliche Seite der Geschichte zu verdeutlichen, vor allem aber auch die mythischen Aspekte hervorzuheben. Ihre "Killersirenen" sind wunderbar.
Faszinierend für den Leser ist die perfekte Verortung im Orient, in den Gassen der Armen, den Märkten und Verkaufsständen. Ebenso können die Bilder der Menschen überzeugen. Einzig Bul fällt hier heraus, sie ist fast eine Figur eines Disney-Zeichentrickfilms und wirkt ein wenig fehl am Platz. Doch macht Augustin dieses Manko mehr als wett, indem sie die Handlungsweisen des Mädchens mit wenigen Strichen so grandios illustriert, dass auch diese Figur zu einem lebendigen Bestandteil der Szenerie wird.
Lupano und Augustin gelingt ein grandioses Debüt in Deutschland. "Alim le tanneur", deren dritter und letzter Teil in Frankreich bereits im November 2007 erschienen ist, wird keinen Leser kalt lassen und wohl jeder wird auf den zweiten Band gespannt sein.