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Als die sechzehnjährige Marie zur Vollwaise wird, bestimmt ihr Vormund, dass sie aus Brüssel zur Familie ihres Onkels in die flämische Provinz ziehen muss. Der Onkel, Besitzer eines großen Guts, ist jedoch ebenfalls gerade bei einem Unfall verstorben, daher herrschen dort relativ ungeordnete Verhältnisse.
Fred, Maries älterer Cousin, übernimmt das Gut. Er ist ein Lebemann und Frauenheld, der das nicht vorhandene Geld mit vollen Händen ausgibt. Im Gegensatz dazu steht sein jüngerer Bruder Joop, ruhiger, tiefsinniger, scheu.
Marie, ganz heranwachsende junge Frau, lernt in der neuen Umgebung, was es heißt, von Männern begehrt zu werden. Während sie sich mit den Frauen im Haushalt mehr oder weniger arrangiert, obwohl sie das Provinzlerische verachtet und auf vieles mit störrischer Ablehnung reagiert, beginnt sie ein Spiel mit den beiden Cousins, dem oberflächlichen, auf flüchtige Eroberungen fixierten Fred und Joop, der sich in sie erstmalig verliebt mit einer dunklen Leidenschaft, die das junge Mädchen nicht einmal erahnen kann.
Auf einem Waldspaziergang versucht Fred, Marie zu vergewaltigen. Ein zufällig anwesendes Kind weigert sich, zu versprechen, über das Beobachtete zu schweigen. Skrupellos ermordet Fred den unliebsamen kleinen Zeugen. Marie, hier nun wiederum ohnmächtige Zeugin des Geschehens, wird hysterisch und erkrankt.
Mehr und mehr scheint es, dass Maries Ankunft in dem Haus am Kanal unterschwellig Brodelndes zum Ausbruch bringt. Sie zieht die für sie einzig logische Konsequenz - und genau das wird ihr zum Verderben.
Georges Simenon ist durch seinen Kommissar Maigret unsterblich geworden. Seine soliden Krimis mit diesem Protagonisten und den Konflikten einfacher Charaktere im Mittelpunkt begeistern seit Jahrzehnten. Dass er auch ein Meister der Stimmungen, der "Suspension", der an einen Thriller grenzenden Spannung ist, beweist er mit "Das Haus am Kanal".
Die Geschichte von dem verwöhnten, sich zur Frau entwickelnden Mädchen, das seine Macht über die Männer erkennt und in der Folge allzu naiv und kühn auskostet, entspricht nicht unbedingt dem klassischen Krimi, wiewohl diese Erzählung mit zwei Morden und einer geradezu fassbaren Spannung aufwarten kann. Simenon spielt hier mit Stimmungen, mit der Kälte des Winters, mit der Landschaft, mit den Charakteren, die aufeinander angewiesen sind im Rahmen eines klassischen sozialen Geflechts, in das Marie mit Macht einbricht - Marie aus Brüssel, die zu diesen bäurischen flämischen Verwandten ganz einfach nicht passt.
Meisterlich gelungen ist die Umsetzung zum Hörspiel. Die Sprecher füllen ihre Rollen bestens aus, insbesondere Katharina Schüttler als Marie, neugierig, zugleich naiv und gefährlich. Dank Simenons großartiger Vorlage bedarf es nur weniger Effekte, um nebst Stimmen ein Hörspiel mit beklemmender, verstörender Atmosphäre zu erzeugen. Die Kälte wird für den Hörer unmittelbar spürbar, ebenso die zentrale Szene, in der Marie vergewaltigt werden soll und stattdessen der kleine, kindlich aufrichtige Junge gewaltvoll stirbt. Nicht zuletzt trägt die Musikuntermalung zur Stimmung bei. Dank der Einbindung flämischer Dialoge kann der Hörer nachfühlen, wie Marie, des Flämischen unkundig, sich zunächst fühlen mag.
"Die ich rief, die Geister, werd ich nicht mehr los." Diesen Satz des Goetheschen Zauberlehrlings mag auch Marie in ähnlicher Form verwendet haben, als es zum fatalen "Showdown" in Simenons Krimi kommt. Die Hörspielversion des WDR überzeugt auf jeden Fall, auch wenn der Preis nicht ganz günstig ist: Simenon in vorzüglicher Aufbereitung!