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Als der Ich-Erzähler der vorliegenden Novelle in New York einen Passagierdampfer nach Buenos Aires betritt, weist ihn ein Freund darauf hin, dass er mit einer illustren Persönlichkeit reisen wird: mit dem amtierenden "Weltschachmeister" Mirko Czentovic, der so gar nicht dem Klischee eines Weltklasse-Schachspielers entspricht. Czentovic, aus einfachen Verhältnissen stammend, ist halber Analphabet und hat auch die Grundzüge des Rechnens nur mühsam begriffen; seine Schachbegabung wurde ganz zufällig entdeckt. Der Ich-Erzähler möchte diesen seltsamen Charakter, nach wie vor bäurisch-ungelenk, langsam und dabei ausgesprochen arrogant, unbedingt studieren und lockt ihn an, indem er mit einem mitreisenden Millionär eine Schachpartie beginnt. Schließlich willigt Czentovic ein, allein ein Spiel gegen das Grüppchen Schachinteressierter auf dem Schiff aufzunehmen, allerdings gegen üppige Bezahlung, die der Millionär garantiert. Obwohl sich die paar Dilettanten beraten, verlieren sie schmählich. Der Millionär will unbedingt Revanche, und Czentovic, ausschließlich an Geld und Schach interessiert, ist mit von der Partie. Wieder droht dem Laienclub ein jämmerlicher Untergang, als sich, wie unter einem eigenartigen Zwang, ein fremder Reisender einmischt, der Gruppe Ratschläge gibt und noch ein Remis erzielt. Sofort danach verschwindet er.
Im Auftrag des Millionärs wird der Ich-Erzähler dem Fremden nachgeschickt, um diesen für eine Partie, er gegen Czentovic, zu gewinnen. Der Fremde ist einverstanden, berichtet dem Ich-Erzähler jedoch zunächst, wie er zum Schachspezialisten wurde: während einer viele Monate währenden Einzelhaft unter dem NS-Regime in Österreich, als er, um nicht wahnsinnig zu werden, eines Tages ein Buch mit Meister-Schachpartien stahl und von da an im Kopf ständig Schachpartien gegen sich selbst spielte - bis ein Nervenfieber ihn für längere Zeit in die Psychiatrie brachte.
Zwischen jenem Dr. B. und Czentovic entspinnt sich ein höchst dramatisches Schachspiel, in dem es regelrecht um Leben und Tod zu gehen scheint.
Man muss kein Schachexperte, nicht einmal ein Schachspieler sein, um den Gehalt und die Spannung dieser Novelle auszukosten; auch Zweig selbst soll alles andere als ein guter Schachspieler gewesen sein. Der Autor hält sich in der "Schachnovelle" nicht sonderlich an das, was man als allgemeine Wahrheiten über Schach bezeichnen könnte: anders als die üblichen Weltmeister ist sein Protagonist bis auf seine extreme Inselbegabung ausgesprochen dumm, und er vermag nicht einmal Partien im Kopf nachzuspielen, was, wie auch geübte Laien meinen, keine große Kunst ist. Hingegen dürfte es praktisch unmöglich sein, durch Auswendiglernen von Meisterpartien, wie Dr. B. das tut, die Basis für das Können eines Weltmeisters zu erlangen.
Beide große Schachspieler in der Novelle, Czentovic und Dr. B., sind aus psychischer Sicht stark defizitär und keine würdigen Repräsentanten des königlichen Spiels. Der Millionär McConnor hingegen ist ein wahrer Unsympath, nicht minder auf eine unintelligente Weise arrogant wie Czentovic und überzeugt, alles und jeden kaufen zu können. So kommt es zur spannungsgeladenen Konfrontation zwischen höchst unterschiedlichen Charakteren mit eigenartigen Überschneidungen. Es gibt verschiedene Interpretationsansätze zu diesen Figuren, die aufzuführen den Rahmen einer Rezension sprengen würde.
Der Kern der Erzählung freilich ist Dr. B.s Bericht über seine Gestapo-Haft und seine Versuche, sich dem durch die Einzelhaft beabsichtigten Verfall und Wahnsinn mittels der Ablenkung durch Schach zu entziehen, bis die Medizin selbst zum Gift wird und die psychische Gesundheit des Inhaftierten massiv und dauerhaft untergräbt; "Schachvergiftung" nennt Dr. B. sein Leiden. Zweig stellt in diesem Abschnitt die grenzenlose Brutalität der Gestapo-Verhöre und -Haftbedingungen heraus und zeigt auf, dass zum Brechen einer Persönlichkeit nicht unbedingt körperliche Gewalt notwendig ist.
Christoph Maria Herbst trägt dieses bemerkenswerte Werk ausgezeichnet vor. Er weiß sich in die Charaktere, all ihre Regungen einzufühlen und diese stimmlich darzustellen. Ein Zögern, ein Zurücknehmen der Stimme, von Variationen der Stimmhöhe und des Sprechflusses bei den verschiedenen Figuren ganz abgesehen, vermitteln die Vorgänge im Inneren der Protagonisten sehr glaubwürdig, ohne dass der Sprecher sich allzu viel Interpretation jenseits des Offensichtlichen erlaubt.
So stellt die Hörbuchfassung einen echten Gewinn dar. Sie kann auch mit attraktiver, robuster Aufmachung punkten. Allerdings wäre ein Booklet mit einigen Hintergrundinformationen gerade bei diesem Stück anspruchsvoller Lektüre wünschenswert gewesen.