Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Die nationalsozialistische Ideologie und der NS-Staat erfreuen sich größter wissenschaftlicher Auseinandersetzung, kaum ein Bereich dieses finsteren und zugleich faszinierenden Kapitels der Zeitgeschichte ist noch nicht beleuchtet worden. Kriminalgeschichtlich besteht jedoch durchaus noch ein gewisser Forschungsbedarf, denn während Dutzende Monografien über die Gewalttaten des Regimes, den Volksgerichtshof, die Verfolgung politischer Gegner und den Justizapparat in Hitler-Deutschland abgefasst worden sind, fielen die "gewöhnlichen" Gewaltverbrechen - Mord, Vergewaltigung, Kindstötung - unverständlicherweise bisher in die Kategorie fachliterarischer Schwindsucht. Mit der zweibändigen "Kriminalchronik des Dritten Reiches" von Wolfgang Krüger hat der renommierte Verlag Kirchschlager einen wesentlichen Schritt auf dem Weg, dieses Leck zu stopfen, unternommen. Seit November 2008 liegt nun der erste Band vor.
Die "Kriminalchronik" behandelt ausschließlich Mordfälle im Dritten Reich, die mit der Todesstrafe gesühnt worden sind, wobei der vorliegende erste Band den Zeitraum von der Machtergreifung 1933 bis zum vorletzten Friedensjahr 1938 untersucht. Der Historiker Wolfgang Krüger hat hierfür in mühsamer Kleinarbeit mehr als fünfzig deutsche Zeitungen aus diesen sechs Jahren durchgesehen. Betrachtet man das Ergebnis, lässt sich nur sagen: Es hat sich gelohnt!
Krüger präsentiert auf rund 330 Seiten zwanzig Mordfälle, welche die zeitgenössischen Gemüter bewegten. Anhand des recherchierten Materials zeichnet der Autor die Verbrechen, ihre Aufklärung und das Gerichtsverfahren bis zur Aburteilung des Delinquenten nach. Er gibt Einblicke in die Vorgehensweise der Exekutive sowie der Rechtssprechung und kann anhand der zitierten, nicht selten sensationsheischenden Schlagzeilen die zeitgenössische Stellung der Bevölkerung zu diesen Gräueltaten spannend aufzeigen. Einzige Beschränkung hinsichtlich der Auswahl der Fälle war, wie schon erwähnt, die Tatsache, dass sie mit der Hinrichtung des Übeltäters endete; hinsichtlich des Motivs, des sozialen Milieus und der Opfer-Täter-Beziehung klappert Krüger die gesamte Bandbreite ab: Vom Versicherungsmord bis zur Kindstötung, vom Raubmord bis zum Serienmord, vom heimtückischen Gattenmord bis zum Judenmord, von Arsen bis zur Pistolenkugel - die Palette ist breit gesät. Die "Kriminalchronik" gibt somit einen gelungenen Überblick über die Kriminalität unterm Hakenkreuz und räumt gleichzeitig mit dem falschen Bild auf, die einzigen Delikte unter dem NS-Regime wären Verbrechen gegen dieses gewesen.
Was der "Kriminalchronik" besonders hoch anzurechnen ist: Krüger verzichtet auf umständliche Beschreibungen des politisch-ideologischen Hintergrundes und damit auf ermüdendes Wiederkäuen entsprechender Fachliteratur. Wo notwendig, lässt der Autor Informationen über den nationalsozialistischen Hintergrund knapp einfließen. So sind zwischen manchen Kapiteln Auszüge aus Verfügungen des Reichsjustizministeriums bezüglich der Hinrichtungsart, kurze Informationen über die Befugnisse von Hitler und Göring in der Rechtssprechung oder Exkurse über die Geschichte der Todesstrafe im Dritten Reich zu finden. Darüber hinaus liest Krüger die Fälle entsprechend ihres sozialen, wirtschaftlichen und geografischen Backgrounds, etwa wenn er darauf hinweist, dass die über lange Zeit erfolglose Jagd nach dem "Brockenmörder" den Tourismus des Harzes in Sachsen stark gefährdete. Vereinzelt entpuppt sich dieses Einstreuen von Hintergrundinformationen aber als überflüssig: In Fußnoten eine knappe Definition von SA oder BdM zu geben, hat wenig Sinn; wer sich das vorliegende Buch zu Gemüte führt, verfügt gewiss einigermaßen an entsprechendem Basiswissen und notfalls bringt ein kurzer Blick in einschlägige Lexika mehr Erkenntnisgewinn, als es zwei, drei Zeilen Fußnotentext je zustande bringen könnten
Doch nicht nur der Autor hat gute Arbeit vollbracht, auch der Verlag hat wie gewohnt seine Hausaufgaben gemacht: Ein stabiles Hardcover mit einfach gehaltenem, aber aussagekräftigem Titelbild beherbergt qualitativ hochwertiges Papier und macht das Blättern damit zu einer wahren Freude; ein edles Lesebändchen rundet den positiven Gesamteindruck ab.
Mit seiner "Kriminalchronik des Dritten Reiches" hat Wolfgang Krüger einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung der Kriminalgeschichte unter dem NS-Regime gemacht. Vorbildlich recherchiert und kurzweilig erzählt, macht der vorliegende erste Band Lust auf weitere Mordfälle aus dem Dritten Reich. Eine Studie über die NS-Kriminologie oder eine Abhandlung über den Mörder im Dritten Reich steht noch aus, doch bis dahin unterhält Krügers Werk als Chronik des Schreckens, als Pitaval des Grauens, als Sammlung scheußlicher und beklemmender Verbrechen, wie sie heute vorfallen und sich auch damals ereignet haben.