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Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war die Malerei nach wie vor eine Domäne der Männer. Frauen konnten nur durch Privatunterricht, später zunehmend in speziellen "Damenklassen" eine künstlerische Ausbildung antreten, und selbst wenn sie diese allen Widrigkeiten zum Trotz - wozu bei den zumeist aus gut bürgerlichem Hause stammenden Frauen Ablehnung des angestrebten Berufs durch die Familie kam - absolviert hatten, wurden ihre Werke stets kritischer beäugt als die ihrer männlichen Kollegen. Als "Malweiber" verschrien, ließen sich viele von ihnen dennoch nicht entmutigen.
Im hier besprochenen Buch werden zahlreiche mehr oder weniger bekannte Künstlerinnen porträtiert, die vom Fin de siècle bis in den Zweiten Weltkrieg hinein aktiv waren. Ihre Kurzbiografien sind nach den Künstlerkolonien oder anderen künstlerischen Zentren ihrer Zeit geordnet, in denen sie hauptsächlich arbeiteten, oder die sie wesentlich mit prägten.
Zu den von Frauen mitgestalteten Künstlerkolonien gehören Worpswede, Fischerhude, Hiddensee, Ahrenshoop und Nidden. Unter den dort lebenden Künstlerinnen hat sich zweifellos Paula Modersohn-Becker den größten Namen gemacht. Die anderen Protagonistinnen dürften den meisten Lesern nur zum Teil bekannt sein.
Ähnliches gilt für die Abschnitte über die Städte und Regionen Hamburg, Berlin, Frankfurt mit Kronberg im Taunus, Dachau, München und Murnau sowie Zürich und Wien. Unter der Rubrik "Nirgendwo zu Hause" werden Marie-Louise von Motesiczky und Else Lasker-Schüler vorgestellt.
Die großen Namen fehlen in diesem Buch also, wie erwähnt, nicht: Paula Modersohn-Becker, Käthe Kollwitz, Marianne Werefkin, Gabriele Münter und Else Lasker-Schüler gehören zum Kreis jener Künstlerinnen, die auch weniger Versierte kennen. Sie dominieren das vorliegende Buch jedoch nicht, gibt es doch auch die vielen anderen Malerinnen, die sich die Ausübung ihres Berufs und ihre Anerkennung hart und zu Recht erkämpften. Manche von ihnen mussten als Gattinnen berühmter Künstler einen regelrechten Spagat vollführen zwischen ihren Verpflichtungen als Ehefrauen, die am Glanz des Gatten nicht kratzen sollten, und der Verwirklichung ihrer eigenen Fähigkeiten. Zu diesen zählen unter anderem Charlotte Berend-Corinth, Clara Rilke-Westhoff und, wenngleich nicht mit Kandinsky verheiratet, Gabriele Münter.
Ein guter Teil der porträtierten Damen blieb unverheiratet, manchmal übten Schwesternpaare den Künstlerberuf gemeinsam aus. Möglicherweise unerwartet begegnet dem Leser unter den "Kronbergern" Viktoria von Preußen, spätere "Kaiserin Friedrich", die sich nicht nur als Mäzen hervortat, sondern auch eine begabte Malerin war.
Im Buch werden die Künstlerkolonien sowie die genannten Städte mit ihrer jeweiligen Geschichte und Bedeutung als Zentren der Kunst kurz vorgestellt, darauf folgen die Kurzbiografien der dazugehörigen Künstlerinnen. Die Texte sind informativ, dabei jedoch auch kurzweilig und spannend gehalten, was freilich angesichts der außergewöhnlichen Viten der meisten Damen kaum anders möglich gewesen wäre. Kontakte der Künstlerinnen zu weiblichen und männlichen Kollegen und die Einordnung ihres Werkes in den kunsthistorischen Kontext sowie Hinweise auf die in vielen Fällen stattfindende Wiederentdeckung fehlen ebenso wenig wie Erläuterungen zu den menschlichen und beruflichen Konflikten. In etlichen Fällen kommen politisch begründete Katastrophen hinzu, handelte es sich doch bei etlichen Malerinnen um Frauen aus jüdischen Familien, und auch das Werk manch Anderer fiel im Nationalsozialismus unter "Entartete Kunst".
In den meisten Kurzbiografien findet man ein Foto oder Selbstporträt der jeweiligen Protagonistin sowie eines, selten mehrere ihrer Werke. Mehr noch als tausend Worte vermögen natürlich diese Bilder einen Eindruck vom enormen Talent und dem individuellen Stil der Damen zu vermitteln, deren Bekanntheitsgrad im Allgemeinen ihrer Begabung nicht einmal zu einem geringen Bruchteil entspricht. Dieses liebevoll gestaltete, bestens recherchierte und hervorragend geschriebene Buch lässt ihnen Gerechtigkeit widerfahren und schildert zugleich sehr anschaulich das Umfeld und die Schaffensbedingungen von Künstlerinnen (und Künstlern) um 1900 mit all ihrem Glanz und ihren Widrigkeiten. Es wäre reizvoll gewesen, im Anhang eine Liste von Museen zu finden, in denen Werke der präsentierten Damen ausgestellt sind - aber man kann dann eben doch nicht alles haben.