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Martina Löw ist mittlerweile in der Soziologie eine Kapazität (in solchen Kontexten spricht man ja nicht von Superstars), um die man inzwischen, gerade in der Stadt- und Raumsoziologie, nicht mehr herum kommt. Ihr neues Buch "Soziologie der Städte" stellt das einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis - auch weil es den Spagat schafft, sich sowohl an ein breites Publikum als auch an Experten zu richten. Nach den beiden wichtigen Publikationen "Raumsoziologie" und "Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie" sowie einer beeindruckenden Menge weiterer Publikationen wendet sich Löw jetzt einer praktisch ausgerichteten Fragestellung zu: Wie etabliert sich die Stadt als Gebilde im Raum und wie kann dieses Gebilde bestimmt werden, um feste Kriterien der Vergleichbarkeit zu erreichen?
Die Bestimmung beziehungsweise die Definition der Stadt ist eines der zentralen Probleme der Soziologie, die als Wissenschaft eng mit der Entstehung der Stadt verbunden ist. Bereits Max Weber und Emile Durkheim versuchten sich an einer Definition der Stadt. Diesen merkt man jedoch den jeweiligen Theorierahmen des Frühkapitalismus beziehungsweise der Arbeitsteilung als Beschränkung des Blickes an. Als Analyseinstrument für die (Groß)Stadt der Jahrhundertwende in Deutschland taugt die Patrizierstadt kaum. Denn längst hatte in der Interdependenz mit der Moderne die Großstadt alles bisher Denkbare übertroffen. Waren Babylon und Rom nur Phantasmen, so wurden diese in den Steinwüsten der Großstädte Wirklichkeit. Und die Großstadt, in Deutschland damals insbesondere Berlin mit über vier Millionen Einwohnern, brachte eine neue Lebensform hervor: die Urbanität. Georg Simmel beschrieb dieses Phänomen bereits 1903 in "Die Großstädte und das Geistesleben" eindrucksvoll. Die Chicagoer Schule versuchte diesen "Urbanism as a way of life" auszubauen. Mit der Ausdehnung urbaner Lebensweisen auf das Land schwächt sich der Stadt-Land-Gegensatz ab, damit aber auch die Trennschärfe dieser beiden Räume.
Heute ist die Urbanität zu einem gesellschaftlichen Paradigma avanciert - und doch mangelt es noch immer an einer analytisch brauchbaren Definition der Großstadt. Ist eine Großstadt eine Stadt, die über eine Million Einwohner hat? Oder zwei Millionen? Oder eine bestimmte Einwohnerdichte pro Quadratkilometer? Damit sind wir bei der Kernfrage, an der sich Löw abarbeitet: Wann kann man von einer Großstadt sprechen und vor allem: Wie kann man sie von anderen Großstädten unterscheiden? Denn München ist ja nicht wie Frankfurt und erst recht nicht wie Berlin. Damit hinterfragt Löw ebenjene Unterstellung, dass durch die (Post)Modernisierung der Gesellschaft alle Städte gleich aussehen würden und es gleichgültig wäre, ob man sich in Berlin, München, Paris oder London bewege; Stadt sei eben Stadt. Der Hebel, der dafür angesetzt wird, ist die sogenannte "Eigenlogik der Städte". Städte zeichnen sich durch typische Raumstrukturen aus, die in einem zirkulären Prozess mit Konnotationen einen Habitus einer Stadt hervorbringen. Damit wendet sich Löw explizit gegen eine Sicht der Großstadt als Laboratorium und will den Blick von Gemeinsamkeiten auf die Unterschiede lenken.
Damit geschieht eine für die Analyse folgenschwere Wendung: Die Stadt ist nicht mehr nur Analyseobjekt, sondern vielmehr Subjekt. Die Stadt wird zu einem sozial konstruierten Phänomen - und unterscheidet sich damit von einer Definition durch die Lebensform. Als Vorschlag für die "praxeologisch" (S. 241) angelegte Analyse schlägt Löw City-Brandings vor. Diese Eigenlogik der Städte soll durch ihre Phänotypie erfasst werden, durch ihre Sinn- und Bildwerdung in Imagebroschüren des Stadt-Marketings. Damit wird ein Problem umgangen: Es wird nicht unterstellt, ein fixierbares Wesen ergründen zu können, sondern es werden die Vorstellungen als Diskursprodukte und Diskursproduzenten analysiert, die zugleich voraus- und zurückverweisen. Die Frage ist, inwieweit so eine archäologische Analyse des Stadtbegriffes geleistet werden kann.
Damit fußt die Untersuchung auf einer statistischen Weltsicht, die vernachlässigt, dass nicht nur "City-Brandings" Auskunft geben über die Diskursivität. Dies mag dies ein nettes Beispiel für Löws Methode sein, was dann wiederum zu populistischen Vereinfachungen führt, München sei die Stadt der Liebe, Berlin hingegen zeichne sich durch die Konnotation mit verruchten Sex aus. Aber es ist eben nur ein Beispiel. Zwar wird der Zusammenhang der Diskurse um Sexualität und Großstadt kurz angeschnitten, allerdings kaum berücksichtigt, dass Berlin als Großstadt eine andere Tradition hat als - man möge es mir verzeihen - ein bäuerlich geprägtes München, das mit einer proletarisch geprägten vier Millionen Einwohnerstadt nicht konkurrieren kann. Martina Löw muss eine größer angelegte Untersuchung der diskursiven Konstruktion außer Acht lassen, sonst wäre das Buch in vorliegendem Umfang und für den vorgesehenen Rezipientenkreis kaum mehr zu leisten.
Die Untersuchung geht von einer Bildverwaltung aus, der Regulierung des Blickes durch Städteplaner, und fragt nicht, wie dieser Blick zustande kommt. Das Bild der Stadt - und dieses Bild muss in mehrere Richtungen gedacht werden - ist Teil einer Archäologie, die untersucht werden muss. Diese Archäologie ruht unangetastet hinter dem Begriff der Eigenlogik, als "verborgene Strukturen der Städte als vor Ort eingespielte, zumeist stillschweigend wirksame präreflexive Prozesse der Sinnkonstitution" (S. 76). So lobenswert der Ansatz von Martina Löw ist, so sehr fehlt ihm die Basis.