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Seit einiger Zeit versucht Marlene, sich mittels eines Seniorenservices eine eigene Existenz aufzubauen. Ihr Verdienst reicht jedoch nicht hinten und nicht vorne. Das Jahr neigt sich dem Ende zu, und ihre Stimmung ist nicht gerade gut: Die Meldungen von einem verschwundenen Fünfjährigen setzen ihr zu, und außerdem soll sie an Silvester mit ihrem um ihr finanzielles Wohlergehen besorgten Bruder eine langweilige Party besuchen, um neue Kunden aufzutun.
Silvester wird zu einem hektischen Tag. Unter anderem hat sich Frau Momberg, eine Kundin, beim Sturz von einer Leiter einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen. Von der ohnehin unerfreulichen Party bricht Marlene deshalb bald heimlich auf, um nachzusehen, ob Frau Mombergs Kater wie versprochen von einer ihrer Töchter versorgt wurde - und findet im Haus eine Leiche.
Dagmar Mombach, Pflegetochter von Frau Mombach, wurde erwürgt, und zwar offensichtlich von einer Person, die Zutritt zum Haus hatte.
Nicht genug damit: Marlene erhält einen seltsamen neuen Kunden, einen blinden ehemaligen Kripo-Beamten, der, sein Schicksal missbilligend, auf eigene Faust Ermittlungen in diesem Fall betreibt. Sie soll ihm seine Augen ersetzen und gerät mehr und mehr selbst in die Ziellinie des Mörders. Dass die Entführung des verschwundenen Kindes mit dem Mordfall Mombach zu tun haben könnte, scheint offensichtlich, doch manche Gedankengänge ihres neuen Kunden scheinen Marlene zu unausgegoren. Bis er Opfer eines nicht ganz zufällig wirkenden Unfalls wird und sie selbst, von seinen letzten Beobachtungen fasziniert, gewissermaßen unter den Augen des Mörders nachrecherchiert ...
Dieser in Berlin angesiedelte Krimi - oder eher Thriller - fesselt von Anfang an, auch wenn die Leiche, auf deren Entdeckung die nachfolgenden Ermittlungen aufbauen, erst nach einer gründlichen Einleitung gefunden wird, in der man die Protagonistin und Ich-Erzählerin zu mögen beginnt und ihren Alltag nachvollziehen kann.
Die Handlung ist spannend und nicht ohne Witz und unverhoffte Wendungen konzipiert, im Prinzip ein klassischer Krimi, auch wenn schon eine gute Weile vor dem Schluss mehr oder weniger feststeht, worauf das Ganze hinausläuft. Trotzdem lässt die Spannung nicht nach, und gegen Ende erwartet den Leser ein echter Showdown.
Wirklich gelungen ist der psychologische Aspekt, die uneinheitliche Adaption von Pflegekindern mit unterschiedlicher Exposition zu familiärer Gewalt in ein und derselben Pflegefamilie, in der vielleicht noch Möchtegern-Psychologen vermeintlich sinnvolle Praktiken umsetzen.
Sehr gut sind die einzelnen Charaktere konzipiert, Figuren, die der Leser regelrecht vor sich sieht (und nicht allen möchte er nachts im Dunklen begegnen). Zwar sieht man sich mit ziemlich vielen Figuren konfrontiert, doch hält sich deren Anzahl noch in einem überschaubaren Rahmen.
"Das Richterspiel" bietet spannende Unterhaltung bis zum Schluss und zeigt, dass deutsche Krimi- und Thrillerautorinnen durchaus zur Avantgarde des Genres gehören können - verstecken müssen sie sich nicht vor der englisch- und skandinavischsprachigen Konkurrenz!