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"Von sich zu schreiben in der ersten Person geht selten ohne Verstellung. Das "Ich" ist ein schiefes Licht, und der Vorsatz, schonungs- oder gar schamlos zu sein, hat sich immer noch abgeschliffen während der Arbeit und Schwächen in persönliche Vorzüge verwandelt. So bleibt nur die dritte Person, eine dürftige Tarnung, womöglich mit sprechendem Namen."Recht zu Beginn sagt dies der Erzähler in Ralf Rothmanns neuem Roman "Feuer brennt nicht". Und in Anbetracht des Namens des Protagonisten, Wolf, kann sich jeder Leser auf die Suche nach Parallelen zwischen Rothmann und seinem Protagonisten machen. Eine Gemeinsamkeit ist auch sogleich offensichtlich: Beide sind Schriftsteller - und zwar nicht mehr ganz junge.
Bei einer seiner Lesungen lernt Wolf die Buchhändlerin Alina kennen, die wenig später ihren Verlobten verlässt und zu Wolf nach Berlin zieht. Viele Jahre lang wohnen sie zwar im selben Stock desselben Hauses, jedoch in verschiedenen Appartements. Nach 17 Jahren aber fühlen sie sich in Kreuzberg nicht mehr wohl und ziehen in eine gemeinsame Wohnung am Nordufer des Müggelsees. Wolf empfindet die gemeinsame Wohnung und die ständige Zweisamkeit zunehmend als beengend, sagt Alina aber nichts. Stattdessen beginnt er eine Affäre mit seiner ehemaligen Geliebten Charlotte, die just nach Berlin gezogen ist, um eine Professur an der Universität zu besetzen. Charlotte ist selbstbewusst, erfolgsorientiert, direkt und trifft sich neben Wolf mit zwei weiteren Männern. Und obwohl es nicht Liebe und Zärtlichkeit sind, die ihn zu Charlotte treiben, geht er doch immer wieder zu ihr. Sie bestimmt die Termine und "um ihr keine Gelegenheit zur Herablassung zu geben, äußert er zwar selten einmal Wünsche, doch lebt er an Charlotte aus, was er Alina aus Scham oder Zartgefühl nicht zumuten mag." Während eines Urlaubs erzählt Wolf Alina von seiner Affäre. Nach anfänglichem Entsetzen scheint Alina jedoch bereit zu sein, die Verbindung der beiden zu akzeptieren ...
Ohne Zweifel ist das Beeindruckendste an diesem Roman seine Erzählstimme. Selbst wenn man der auf der Rückseite des Buches abgedruckten Aussage des
Rolling Stone über Ralf Rothmann nicht zustimmt, die da lautet: "Deutschlands bester Erzähler", so kann man natürlich trotzdem die Fähigkeit des Autors würdigen, großartig schreiben, atmosphärische Dichte erzeugen und Sätze formen zu können, die sich lesen, als wären sie Teil eines Gedichts. Unter all diesen schönen Worten versteckt sich allerdings im Fall von "Feuer brennt nicht" eine eher klischeehafte Geschichte.
Da ist zum einen der alternde Schriftsteller, der zu viel Enge und Intimität, zu viel Vertrautheit und Alltag nicht verträgt und sich in eine Affäre mit Charlotte stürzt. "Sie mag es sehr, die Professorin, wenn er sie Miststück oder Fotze nennt, und lässt alles mit sich machen und bleibt offen für das meiste, solange sie am Ende ihren Orgasmus hat." Alina hingegen ist die Ruhige, alles Ertragende, die von sich selbst sagt, ihr einziges Talent sei, ihn zu lieben. So hat man also in diesem Roman die zwei Versionen des ewig Weiblichen, die Heilige und die Hure, in einer klassischen Dreiecksgeschichte vereint. Neben der Dreiecksgeschichte gibt es aber auch noch ein gesellschaftliches Bild, das hier gezeichnet wird und das sich zum einen in der Veränderung von Berlin sehen lässt und zum anderen in der Annäherung von Ost und West, wobei auch hier Klischees herhalten müssen. Die Wortgewandheit des Autors macht die Klischees nicht weniger klischeehaft, aber doch schmackhafter. Allerdings scheitert auch Ralf Rothmann an der klaren und direkten Benennung des Sexuellen, erschafft keine neue Sprache, sondern tritt hier auch nur in ausgelatschten Pfaden herum: Dass Wolf sich von Charlotte "bepissen" lässt, ihr "ins Gesicht spritzt" und "ohne Vorwarnung in ihren Schließmuskel" stößt, das will nicht jeder so genau wissen.
Doch trotz aller Kritik am Inhalt ist das Buch sehr lesenswert und unterhaltsam. Es enthält immer wieder Passagen, die nachdenklich machen. Es hat ein Pathos inne, das mutig ist und ernsthaft, das berührt und sich durchaus an der Grenze zum Kitsch bewegt, diese aber nicht überschreitet. Es enthält wunderschöne Sätze und Beschreibungen - und die allein lohnen das Lesen und auch den Preis.