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Straßenkinder - auch in deutschen Großstädten gibt es sie, nur werden sie von vielen übersehen und ignoriert. Am Rande der Gesellschaft stehen sie meist ohne Hoffnung auf Besserung.
Morton Rhue hat eine Gruppe Straßenkinder aus New York zu den Protagonisten seines Buches gemacht.
Der "Asphalt Tribe," wie sie sich selbst nennen, besteht aus acht Mitgliedern: 2Moro, Jewel, Maggot, OG und sein Hund Pest, Country Club, Rainbow, Tears und Maybe.
An all diesen Kindern sieht der Leser, dass das Leben es nicht mit jedem gut meint. Am Anfang des Buches leben noch alle mehr schlecht als recht, am Ende ist der Tribe aufgelöst und ein Großteil tot.
Die Gründe für diese Katastrophe liegen auf der Hand: 2Moro ist HIV-positiv und prostituiert sich, Jewel geht als Transvestit auf den Strich, Maggot ist ein Kind reicher Eltern, die ihren Sohn wieder finden wollen, OG leidet an schwerem Husten, Country Club ist schon zu alt für ein Leben auf der Straße, immerhin schon über Zwanzig, Rainbow ist heroinabhängig und verdient sich das Geld für den nächsten Schuss auf der Straße. Die kleine Tears, die erst Zwölf ist, lief von zu Hause weg, nachdem ihr Stiefvater sie sexuell missbrauchte, Maybe, die Berichterstatterin, kümmert sich um alle, steht aber selbst am Rande der Gruppe. Ihre alkoholkranke Mutter warf sie aus dem Wohnwagen, als sie sich nicht mehr um die kleinen Geschwister kümmern konnte, nicht ohne sie vorher mehrmals zu verprügeln.
Irgendwie schafften sie es alle, sich nach New York durchzuschlagen, wo sie auf ein besseres Leben hoffen. Durch Maggot finden sie zusammen, sie merken, dass sie in der Gruppe sicherer vor gewaltsamen Übergriffen sind. Denn wer kümmert sich schon um ein weiteres Straßenkind, welches ermordet wird? Nur von ihresgleichen können sie ein wenig Mitleid und Liebe erhoffen, andere Menschen begegnen ihnen mit Misstrauen oder mit Abscheu.
Das Buch erzählt vom ganz normalen Alltag der Straßenkinder im Winter: Sie haben Hunger, ihnen ist kalt, sie sind desillusioniert und glauben alle, nicht älter als Achtzehn zu werden. Die Spirale aus Gewalt, Kälte, Hunger, Drogen und Prostitution zieht sie immer weiter nach unten.
Der erste Tote ist Country Club, der beste Freund OGs. Er stirbt an einer chronischen Alkoholvergiftung und an der Kälte. Doch die Trauer der Kids hält sich in Grenzen, schließlich ist es ein Wunder, dass er überhaupt so lange auf der Straße überlebte
immerhin war er schon 22.
Zwischen den Kapiteln, in denen der Tod eines der Tribe-Mitglieder berichtet wird, erfährt der Leser den ganz normalen, unspektakulären Überlebenskampf. Wie zum Beispiel Rainbow und Maybe in der öffentlichen Bücherei von einem Wachmann erniedrigt werden, weil sie sich im Waschraum waschen. Oder wie die gesamte Gruppe an Freikarten für einen Club kommt und die Nacht durchfeiert, da es draußen zu kalt und zu gefährlich zum Schlafen ist. Auch die Polizei spielt eine nicht unerhebliche Rolle. Die Detective des Bezirks, in dem sich die Kinder meist aufhalten, ist sehr nett und möchte helfen, stößt aber immer wieder an Grenzen, wenn sie versucht, ihnen zu erklären, dass sie es im Jugendheim besser hätten. Die Kinder wollen sich aber an keine Regeln halten und finden, es sei besser, auf der Straße zu sterben, als im ganz normalen Alltagstrott mit seiner Beengtheit zu leben.
Durch diese Alltäglichkeit der Geschichte fällt eine Inhaltsangabe schwer, sie beschreibt einfach das ganz normale Leben dieser Kids. Es gibt keinen Haupthandlungsstrang außer dem Kampf ums Überleben, der auf unterschiedliche Art und Weise geführt wird.
Aber dieses Buch soll gar keine unterhaltsame Geschichte sein. Es soll den Leser wachrütteln, ihm zeigen, dass auch in der so genannten "Ersten Welt" Straßenkinder umkommen, weil keiner sich um sie kümmert.
Die Kapitel, in denen eins der Kinder umkommt, sind besonders herausgehoben. Am Anfang dieser Kapitel findet sich stets eine kursiv gedruckte Personenbeschreibung, in der der Hintergrund des Toten beschrieben und auch das Elternhaus näher beleuchtet wird.
Das Buch enthält ein Vorwort von Doris Schröder-Köpf und ein Nachwort von Markus Seidel, selbst Autor des Buches "Straßenkinder in Deutschland" und Vorsitzender der Hilfsorganisation Off-Road-Kids, die versucht, Straßenkindern eine Perspektive zu eröffnen.
Dieses Buch ist für alle Jungendlichen ab zwölf Jahren geeignet. Im Buch selbst findet sich zwar kein Hinweis auf ein Mindestalter, ich würde dies aber empfehlen, da die Beschreibungen des Lebens für jüngere Kinder unverständlich sein könnten.
Das Buch ist äußerst fesselnd geschrieben, ich selbst habe nur weniges Stunden gebraucht, um es fertig zu lesen, da es den Leser nicht mehr loslässt. Gerade der trockene und größtenteils unemotionale Sprachstil trägt dazu bei, den Leser tiefer in diese Geschichte zu verstricken. Das Buch ist aus der Sicht Maybes geschrieben, sie bringt das Geschehen näher als ein auktorialer Erzähler, da sie mitten im Geschehen drin steckt. Ihre Angst und ihre Gefühle werden trotzdem aus der Geschichte herausgehalten, so wird sie zur Berichterstatterin.
Ein sehr empfehlenswertes Buch, das Jugendliche dazu auffordert, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Nicht jeder hat ein wohlbehütetes Zuhause